EU verliert Kampf um die Ukraine

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Während der ukrainische Staatschef Janukowitsch in Wien seinen Willen zur EU-Annäherung beteuerte, legte seine Regierung das Assoziierungsabkommen auf Eis und schwenkte auf Moskau um.

Kiew/Wien/Brüssel. Europa hat im strategischen Ringen um die Ukraine den Kürzeren gezogen. Die frühere Sowjetrepublik hat am Donnerstag überraschend ihre Annäherung an die Europäische Union gestoppt. Stattdessen plant Kiew die Anlehnung an seinen traditionellen Partner Russland. Moskau hat Kiew zuletzt klar zu verstehen gegeben, dass es eine Intensivierung der Affäre mit dem Westen nicht gutheißen würde.

Am Donnerstag überschlugen sich die Ereignisse: Während der ukrainische Präsident, Viktor Janukowitsch, auf einem Arbeitsbesuch bei Österreichs Bundespräsident Heinz Fischer weilte und in der Hofburg den Willen seiner Regierung bekräftigte, an Europa andocken zu wollen, wurde in Kiew zeitgleich eine Bombe gezündet: Diese hatte die Form einer einseitigen Anordnung mit der Nummer 905-p, unterzeichnet von Premier Mykola Azarow. In diesem Dokument, veröffentlicht auf der Website der Regierung, beschließt die Ukraine das Einfrieren des jahrelang vorbereiteten EU-Assoziierungsabkommens samt umfassendem Freihandelsvertrag. Das Abkommen sollte Ende nächster Woche auf dem Gipfel der EU-Ostpartnerschaft in Vilnius unterzeichnet werden. Laut dem Dekret wird die „Suspendierung des Vorbereitungsprozesses“ angeordnet, um die „nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren und die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland zu beleben und den inneren Markt auf Beziehungen auf gleicher Augenhöhe mit der EU vorzubereiten“.

Sprachlosigkeit in Brüssel

In Brüssel herrschte zunächst Sprachlosigkeit über den Totalschwenk. Noch zu Mittag hatte der Sprecher von Erweiterungskommissar Stefan Füle von einer „dynamischen Situation“ gesprochen und auf Füles bevorstehenden Besuch in der Ukraine verwiesen. Am Nachmittag wollte man die Lage nicht mehr kommentieren – Füle sagte seine Visite kurzfristig ab. EU-Chefverhandler Aleksander Kwaśniewski resignierte: „In Vilnius wird kein Abkommen unterschrieben.“ Verärgert klangen Stellungnahmen aus dem EU-Parlament: „Die Ukraine wusste seit Langem, welche Bedingungen für das Abkommen mit der EU zu erfüllen sind“, meinte Elmar Brok (CDU). Hannes Swoboda (SPÖ) äußerte „profunde Zweifel“ an Kiews Ernsthaftigkeit.

Am Vormittag waren sechs Gesetzesvorschläge durch das Kiewer Parlamentsplenum gerasselt, die der inhaftierten Ex-Premierministerin Julia Timoschenko Hafturlaub hätten ermöglichen sollen. Eine Freilassung der erbitterten Kontrahentin von Präsident Janukowitsch hatte die EU jedoch als Bedingung für die Unterzeichnung des Abkommens genannt.

Laut ukrainischen Medienberichten habe das gesamte Kabinett für den Kurswechsel gestimmt – die Anbindung an die EU sei „übermäßig riskant“. Zuletzt hatten im Land vermehrt Stimmen eine Verschiebung des Vertrags gefordert. Die Partizipation am von Moskau betriebenen Konkurrenzprojekt einer Zollunion, von der sich Janukowitsch eigentlich distanziert hat, soll nun vorangetrieben werden. Als Grund für den Schwenk vermuten Beobachter den russischen Druck, der durch handelspolitische Drohgebärden in letzter Zeit merklich angestiegen ist.

Weitere Infos:www.diepresse.com/ukraine

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2013)

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