Wort der Woche

Digitale Demokratie

Digitale Demokratie – das Nutzen digitaler Technologien zur Unterstützung demokratischer Prozesse – hat großes Potenzial. Es gibt aber noch große Hürden zu überwinden.

Unser demokratisches Gesellschaftssystem ist von vielen Seiten her unter Druck – etwa infolge der zunehmenden Spaltung der Gesellschaft durch Populismus und Social-Media-Blasen, wegen Desinformation und Fake News oder durch die Macht einiger weniger über Narrative und Meinungen. Viele Expertinnen und Experten sind der Ansicht, dass sich die Demokratie weiterentwickeln muss, um ein zukunftsfähiges Konzept zu bleiben. „Demokratie braucht ein Upgrade, um anpassungsfähiger und effektiver zu sein“, formuliert es etwa Dirk Helbing, Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich und externes Fakultätsmitglied des Complexity Science Hubs (CSH) in Wien. Als zentrales Mittel dafür gelten digitale Technologien. Manche meinen gar, dass dadurch eine „evidenzbasierte Politik“ – also das Gründen von Entscheidungen auf objektive Fakten – realisierbar wäre. Was Kritiker als technokratisches „Regieren durch Algorithmen“ ablehnen.

So weit geht der einflussreiche Vordenker Helbing, der diese Woche bei einer Smart-Cities-Konferenz am CSH in Wien über „Digitale Demokratie“ spricht, nicht. Denn am Ende, so ist er überzeugt, müssen immer Menschen die Entscheidungen treffen. Sehr wohl könnten Technologien aber eine Unterstützung bieten – insbesondere hinsichtlich der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern an Entscheidungsprozessen. Als Beispiel nennt er die Stadtplanung. „Die Rolle von Bürgern bei der Planung städtischer Infrastrukturen und deren Nutzung wurde bis vor kurzem weitgehend ignoriert“, schreibt er in einer vielbeachteten Studie, die jüngst im „Journal of Computational Science“ (71, 102061) erschienen ist. Mittlerweile gebe es digitalen Plattformen (wie etwa Smart Agora, DIAS, EPOS oder vTaiwan) zur Kollaboration im großen Maßstab, die Informationen verdichten und einen offenen Austausch von Ideen zwischen unterschiedlichen Menschen erlauben. Die Idee dahinter ist eine Förderung der kollektiven bzw. kombinatorischen Intelligenz – auf neudeutsch: Co-Creation –, die meist zu besseren und innovativeren Lösungen führt als einsame Entscheidungen am Schreibtisch.

Allerdings müssten zuvor noch „erhebliche Herausforderungen“ bewältigt werden, betont Helbing. So müsse zum Beispiel sichergestellt werden, dass digitale Technologien auf zugängliche, gerechte und faire Weise genutzt werden. Andernfalls würden bestehende Machtungleichgewichte nur noch weiter verstärkt.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

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