Philosophie

Wie viele Treibhausgase stehen jedem Land gerechterweise zu?

APA/dpa/Uwe Anspach
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Schon geringe Umverteilungen des verbleibenden Emissionsbudgets zwischen Globalem Süden und Globalem Norden können die Grundbedürfnisse aller Menschen auf dem Weg zur Klimaneutralität sichern, sagt der Philosoph und IPCC-Hauptautor Lukas Meyer.

Sind Sie heuer in den Urlaub geflogen? Bei einer Strecke von etwa dreieinhalb Stunden Flugzeit haben Sie knapp 900 kg Emissionen verursacht – und damit das „Budget“ von 750 kg Treibhausgasen für Freizeitaktivitäten, das Ihnen jährlich gerechterweise zusteht, weit überschritten. Das Rechenbeispiel bringt der Philosoph Lukas Meyer von der Uni Graz, der sich mit CO2-Limits mit Blick auf spätere Generationen beschäftigt. Eine Bedingung für minimale Gerechtigkeit: die Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse.

Wenig wisse man über Lebensbedingungen, soziale Veränderungen oder technische Möglichkeiten der Zukunft. „Sehr anspruchsvolle Vorstellungen von Verteilungsgerechtigkeit lassen sich deshalb nicht sinnvoll verfolgen“, erklärt Meyer, der als einer der ersten Philosophen Hauptautor des Weltklimarates IPCC (2014, fünfter Sachstandsbericht) war. „Es empfiehlt sich, nicht auf die subjektive Seite zu schauen, sondern sich um eine objektive Beschreibung von minimalen Bedingungen des Wohlergehens zu bemühen.“ Das sind jene grundlegenden Bedürfnisse, die für ein autonomes Leben notwendig sind (Prinzip der Suffizienz). In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt untersuchte Meyer mit Forschenden aus Philosophie und Ökonomie der Uni Graz, welche Konsequenzen eine derart verstandene intergenerationelle Klimagerechtigkeit für die einzelnen Länder haben würde. Das globale Transformationsziel Klimaneutralität bis 2050 vorausgesetzt. Was verlangt die Erfüllung der Grundbedürfnisse für die vom IPCC untersuchten Transformationspfade?

Kein Problem der absoluten Knappheit

Es sei unrealistisch anzunehmen, dass Staaten mit einem Mal hundert Prozent ihrer Emissionen zur Erfüllung der Grundbedürfnisse einsetzen würden, sagt Meyer. Wenn in den Regionen allerdings jeweils nur 50 Prozent des verbleibenden Emissionsbudgets für die Erfüllung von Grundbedürfnissen verwendet werden, bleiben viele Menschen insbesondere im Globalen Süden und in der ersten Phase des Transformationszeitraums bis 2035 auf der Strecke. Aber: „Das könnte man ändern, indem das Budget global umverteilt wird, denn es handelt sich nicht um ein Problem einer absoluten Knappheit.“ Die Klimaziele können erreicht und gleichzeitig die Grundbedürfnisse aller erfüllt werden. Meyer und sein Team zeigen, dass diese Umverteilungen nur minimal wären: „Es geht um wenige Prozent des Budgets von Europa und Nordamerika. Wenn diese Emissionen Staaten in Afrika oder Asien zugeschrieben würden, könnten diese die Grundbedürfnisse ihrer Bevölkerung erfüllen.“

»Rund zehn Prozent
der Bevölkerung verursachen die Hälfte
aller Emissionen. «

Lukas Meyer,

Philosoph, Uni Graz

Aber ist es gerecht, Menschen im Globalen Norden nicht nur für aktuelle emissionsintensive Aktivitäten, sondern auch für Schäden verantwortlich zu machen, die Generationen vor ihnen unwissentlich verursacht haben? Meyer begegnet der Debatte rund um historische Verantwortung, indem er zum einen dafür plädiert, für die Berechnung fairer CO2-Budgets die Emissionen ab 1995, ab der Veröffentlichung des zweiten IPCC-Sachstandsberichts, zu berücksichtigen: „Das ist der Zeitraum, von dem an Staaten, Institutionen und auch jedenfalls höher gebildete Menschen wissen konnten, dass sie ihre Emissionen aufgrund des drohenden katastrophalen Klimawandels einschränken müssen – insofern sind sie dann verantwortlich für diese.“ Zum anderen weist der Philosoph darauf hin, dass wir heute noch von den Konsequenzen der emissionsintensiven Entwicklung seit der Industrialisierung ungleich begünstigt sind. Das dürfe nicht unter den Tisch fallen.

Wo unsere Verantwortung liegt

Wie das eingangs erwähnte Beispiel zeigt, lassen sich die Berechnungen der gerechten Anteile am CO2-Budget bis auf individuelle Ebene herunterbrechen. Meyer warnt jedoch davor, den Fokus der Diskussion um Klimagerechtigkeit allein auf Privatpersonen zu richten. Allerdings sollte jeder und jede Einzelne, so sein Standpunkt, durch Bemühungen um Emissionsreduktion dazu beitragen, dass die Transformation politisch gelingt.

Es gehe dabei weder vornehmlich um die kausale Verantwortung von Privatpersonen für den Klimawandel, noch um ihre Schuldhaftigkeit dafür. Wichtig sei für ihn die ­zukunftsgerichtete Idee, dass Menschen „Verantwortung dafür übernehmen, weniger moralisch mangelhafte und gerechtere Bedingungen für alle zu schaffen und sicherzustellen“.

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