Uwe, Franz & Co. nur mit Handtuch um die Lenden

(c) ORF (Stefan Gessl)
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Die „Schneeforscher“, eine Gruppe rund um Franz Beckenbauer, fallen seit mehr als 30 Jahren jährlich in Obertauern ein und machen mitunter hemmungslos die Skihütten unsicher.

Hier bin ich noch nie runtergefahren! Und heute fahr ich hier auch nicht runter!“, meutert Uwe Seeler lautstark am Seekareck beim Blick ins Tal. „Doch, Uwe, hier sind wir gestern dreimal runtergefahren – es war nur nebelig, du konntest nicht ins Tal schauen“, versucht Skilehrer Hermann Koch den Kult-Mittelstürmer zu überzeugen. Der deutsche Ex-Nationalspieler Max Lorenz fällt ihm ins Wort: „Das ist ja euer Trick hier oben: Ihr versteckt die Berge hinter Wolken, damit wir nicht sehen, wie steil sie sind.“

Lorenz, Flachlandtiroler wie Seeler, ist nicht zu bremsen: „Schnallt die Ski ab, Freunde, die brauchen wir nicht, wir suchen die Ideallinie zu Fuß und beschwören die Schneekristalle, dann kommen wir alle Berge heil runter ohne diese albernen Latten!“ Soweit die Kurzfassung seines Wortschwalls, der einem Lawinenabgang gleicht und die Männerrunde zu wieherndem Gelächter animiert.

„Wir untersuchen die Flocken“

Skilehrer Koch verleiht Lorenz dafür wenig später das „Ehren-Skifahrer-Diplom“. Nicht weil er besonders gut carven, sondern weil er am besten blödeln kann in der Promi-Gruppe der „Schneeforscher“. Die treffen sich jedes Jahr zum Auftakt der Skisaison im salzburgischen Obertauern – immer mit etwa 15 Mann: Franz Beckenbauer ist ebenso dabei wie Zehnkampf-Olympiasieger Willi Holdorf, Ex-Bundestrainer Erich Ribbeck, die Kicker Seeler, Luggi Müller und Max Lorenz, Sportjournalisten wie Werner Zimmer sowie der ehemalige Eisschnellauf-Trainer Herbert Höfl als Erfinder der „Schneeforscher“.

Höfl wettete Ende der Siebzigerjahre mit Obertauerns damaligem Bürgermeister Dieter Kindl, dass es ihm gelinge, eine Reihe von Promis in den 1700 Meter hoch gelegenen Wintersportort zu lotsen. Seitdem können die „Schneeforscher“ dem ahnungslosen Obertauern-Besucher Anfang Dezember auf jeder der super präparierten Piste über den Weg brettern – auch auf der breiten, aber für Uwe Seeler schier unüberwindlich scheinenden Seekareck-Abfahrt.

Schon allein, weil an ihrem Fuß die verlockende Hochalm liegt. Hier – zwischen einem „DJ-Ötzi“-Verschnitt und Obstler – hat Erich Ribbeck einigen Après-Skifahrern bierernst die Bedeutung der „Schneeforscher“ erklärt: „Wir untersuchen die Flocken, den Sulz- und Pulverschnee ganz genau, geben diese Infos ans meteorologische Institut Salzburg, aufgrund dessen sprengen die dann mögliche Lawinen weg.“

Einige Zuhörer haben's Ribbeck tatsächlich geglaubt – ausgerechnet dem Mann, der schon mal in viel zu engen, drückenden Skistiefeln am Lift aufkreuzte. Eine Verwechslung, sie gehörten einer Urlauberin aus seinem Hotel, erzählt Herrmann Koch. Dass die „Schneeforscher“ nicht längst umgezogen sind, etwa in Kaiser Franz' langjährige Wahlheimat Kitzbühel oder andere mondäne Alpenorte, das liegt an der Ruhe, die sie hier als Promis haben, sagt Uwe Seeler. Und an Obertauerns einmaliger Lage als „Schneeschüssel“ Österreichs.

Mittendrin in dieser Schüssel reihen sich Hotels und Pensionen an der Passstraße aneinander, lang gestreckt wie ein Guinnessbuch-der-Rekorde-Apfelstrudel, umgeben von einem hohen Staubzuckerrand, den schneebedeckten Bergen. Sie sind einmalige 360-Grad-Kulisse und Fundament der sogenannten Tauernrunde: einer Art Zickzackmuster aus unzähligen, zumeist blauen und roten Pisten sowie 26 Liften auf dem Schneeschüsselrand – bis 2526 Meter auf die „Super Seven“ – sieben Zweitausender, die man in Obertauern „gemacht“ haben muss. Obertauerns insgesamt 100 Pistenkilometer sind überwiegend blau und rot, vor allem aber breite „Autobahnen“. Und weil das so ist, heißt eine der Pisten praktischerweise auch so. Einen halben Tag dauert's, den ganzen Ort einmal darauf zu umcarven. Und weil der meist verschneit ist, endet die Schlussabfahrt nachmittags fast überall als Schussabfahrt im Skikeller. „In Obertauern trägt man Ski immer an den Füßen, nie auf der Schulter“, verkünden die Hoteliers darum selbstbewusst.

Der Kaiser fährt gazellenartig

Diesen Satz haben die „Schneeforscher“ einst etwas zu wörtlich genommen. „Bei unserer jährlichen Sitzung schnallten wir uns zu vorgerückter Stunde die Brettln an und schlitterten ein Stiegenhaus hinunter“, erzählt Uwe Seeler. Verletzte gab's nicht, aber auch keinen Lift wieder nach oben, in die damalige Discothek „Taverne“. Hier hatten schon die Beatles kräftig gefeiert, 1965 beim Dreh der Schneeszenen für ihren zweiten Kinofilm „Help“. Heute lockt die Disco mit Karaoke, Sexy-Skihaserl-Night und Mallorca-Sangria-Kübel-Party. Eher die Ausnahme in Obertauern, denn Ballermann im Schnee ist hier eigentlich unerwünscht, sagt Tourismus-Chef Mario Siedler.

Gleich gegenüber der „Taverne“, auf der Edelweißabfahrt, fanden die Skirennen der „Schneeforscher“ statt. Hermann Koch hat sie organisiert und alles im Fotoalbum dokumentiert – handschriftlich in einer Tabelle auf Karopapier: 350 Meter lang war die Strecke, gespickt mit 17 Toren. Uwe Seeler ist Sechster geworden, aber hinter seiner roten Filzstift-Platzierung prangt ein dickes Fragezeichen. „Der ist zu früh gestartet, hat ein, zwei Tore ausgelassen“, erzählt Koch „und hatte eine bessere Zeit als ich – da konnte was nicht stimmen.“ Nur Achter: Franz Beckenbauer, aber trotzdem ist „Schneeforscher“-Skilehrer Koch voll des Lobes: „Der Kaiser fährt gazellenartig, so elegant, wie er kickt.“

Mit ihm, mit Ribbeck und einigen anderen Könnern unter den „Schneeforschern“ ist Hermann Koch gern auf längeren, anspruchsvolleren Pisten unterwegs, der Zehnerkarabfahrt oder der rabenschwarzen Gamsleiten-2-Piste. Vorher ist meist ein wenig „Fahrwasser“ fällig – eine Gamsmilch etwa, der für Obertauern typische Cocktail aus Kakao und Rum. Nach ausreichendem Pisten-Dribbling kehren die „Schneeforscher“ oft in der Achenrainhütte ein, einem unscheinbaren Holzhäuschen oberhalb des Ortes. Hier stecken die Kicker ihre Köpfe zusammen und nicken so manche weitreichende Entscheidung für den deutschen Fußball ab. Giovane Elbers Wechsel zu Bayern München soll in Obertauern ebenso gedealt worden sein wie Erich Ribbecks Ja zum Amt des Bundestrainers, verrät Herrmann Koch.

Wer nicht gerade die „Schneeforscher“ sucht, sondern in der „Schneeschüssel“ Hunger bekommt, der landet nicht in einer der alpenweit verbreiteten, voll verglasten Massenabfütterungs-Stationen mit angeflanschter Gondelbahn-Haltestelle, sondern auf einer der 26 gemütlichen Hütten und Almen. Niemand muss in klobigen Skistiefeln Spaghetti Napolitana – Geschmack pappig, Preis happig – von der SB-Kasse zum Tisch jonglieren. Stattdessen serviert etwa Mutter Schilchegger im Sonnenhof eine XXL-Portion Kaiserschmarrn, hält vor der TV-Übertragung des Weltcupslaloms kurz inne und erzählt ein wenig von vergangenen Siegen ihres Sohnes Heinz. Die „Schneeforscher“ – immerhin ein eingetragener Verein – engagieren sich auch sozial: sei es mit Ausrüstungsspenden für Obertauerns Skirennnachwuchs oder mit der Finanzierung eines Autos für das deutsche Paralympics-Skiteam. Trotzdem, wenn Franz, Uwe, Erich und die anderen so unbedarft dasitzen in ihrer „Schneeforscher“-Uniform mit Lederhosen und Strickjacken – Obertauern-Gäste sollten sich nie zu sicher fühlen.

Gut möglich, dass die älteren Herren sich zu „Kaiser-Schmarrn“ hinreißen lassen: zum Schwanensee-Ballett mit nacktem Oberkörper und Handtuch um die Lenden. Oder einen verdutzten Skifahrer mit Schlagobers einseifen und ihm ruckzuck den Bart abrasieren.

VON DER GAMSMILCHBAR ÜBER DIE ROTE ZEHNERKARPISTE

Schlafen: Unterkünfte in allen Kategorien sind unter obertauern.com zu finden.

Skipass: für sechs Tage zahlen Erwachsene ab 186 Euro (Saison B), Jugendliche (17 bis 19 Jahre) 141 Euro, Kinder (16 Jahre und jünger) 102,50€.

Unbedingt probieren: Gamsmilch, Obertauerns Antwort auf Jagertee und Glühwein. Ihr Erfinder, Walter, der verrückte Kultwirt, stand schon im Guinnessbuch der Rekorde, weil er die gesamte Zehnerkarabfahrt rückwärts am schnellsten absolviert hat. Wer so etwas hinkriegt, der komponiert auch problemlos einen Drink aus Kakaopulver, aufgeschäumter Milch, vermutlich ziemlich viel Rum und serviert diesen mit der Behauptung: „Gamsmilch macht die Buckelpisten flach...“ Die Gamsmilch-Bar befindet sich in der Bergstation der Zehnkar-Seilbahn.

Infos: Der Autor wurde vom Tourismusverband Obertauern unterstützt.

Tel.: 06456/72 52, obertauern.com, E-Mail: info@obertauern.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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