US-Richter: Gründerväter wären "entsetzt" über NSA-Schnüffelei

General view of large former monitoring base of US intelligence organization NSA is pictured during sunrise in Bad Aibling
General view of large former monitoring base of US intelligence organization NSA is pictured during sunrise in Bad Aibling(c) REUTERS (Michaela Rehle / Reuters)
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Die Erfassung aller amerikanischen Handyanrufe durch den Geheimdienst dürfte verfassungswidrig sein, befindet ein Bundesrichter. Im kommenden halben Jahr wird das US-Höchstgericht darüber urteilen.

Mit scharfen Worten zerpflückt der US-Bundesrichter Richard J. Leon die komplette Erfassung aller Handytelefonate in den USA durch den Geheimdienst NSA. „Der Autor der Verfassung, James Madison, wäre entsetzt", schrieb Leon in seinem am Montag veröffentlichten 68-seitigen Urteil. „Ich kann mir keinen willkürlicheren und eigenmächtigeren Eingriff vorstellen als diese systematische und hochtechnologische Sammlung und Speicherung persönlicher Daten von praktisch jedem einzelnen Bürger, um sie ohne richterliche Genehmigung zu analysieren."

Seit Mai 2006 erfasst die NSA mit der Genehmigung eines Sondergeheimdienstgerichts (des „Foreign Intelligence Surveillance Court", kurz FISC) die so genannten Metadaten aller Mobilfunkkunden in den USA. Metadaten sind die jeweils eigene Nummer, die angerufenen Nummern sowie Uhrzeit und Dauer dieser Telefonate. Gesprächsinhalte oder SMS-Kurznachrichten saugt die NSA dabei nicht ab - zumindest nicht unter diesem Programm, das auf dem „Patriot Act" beruht, dem Gesetz, mit dem USA nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ihre geheimdienstlichen Zügel strafften. Das Geheimdienstgericht verpflichtet im Rahmen dieses Programms die Mobilfunkbetreiber, der NSA dauerhaft Zugang zu den genannten Metadaten zu gewähren.

Konservativer Kläger bekommt Recht

All dies lief bis zum 5. Juni dieses Jahres geheim. Dann veröffentlichte die britische Zeitung „The Guardian" die ersten Enthüllungen des früheren NSA-Vertragsbediensteten Edward Snowden, denen zufolge die NSA praktisch alle amerikanischen Handys überwacht.

Eine Reihe von Verfassungsklagen war die Folge, Richter Leons Urteil ist das erste in einer solchen Causa. Der rechtskonservative Anwalt Larry Klayman und Charles Strange, der Vater eines 2011 bei einem Hubschrauberabsturz in Afghanistan getöteten NSA-Analysten, klagten unter Berufung auf den vierten Zusatz zur US-Verfassung, der das Bürgerrecht auf den Schutz vor ungerechtfertigten Durchsuchungen und Beschlagnahmen festhält. Ihre Argumentation lautet so: Indem die NSA die Metadaten ihrer Handys fünf Jahre lang speichert und zu späteren Zeitpunkten immer wieder auf Verknüpfungen mit anderen Mobilfunkkunden analysiert, ohne einen konkreten Tatverdacht gegen sie zu haben, verstoße sie gegen diesen verfassungsmäßigen Schutz der Privatsphäre.

Richter Leon teilt diese Rechtsmeinung - doch er gibt dem Begehr der beiden Kläger, ihre Metadaten aus allen Datenbanken der NSA löschen zu lassen und sie fortan nicht mehr zu erfassen, nur unter der aufschiebenden Bedingung einer Berufung vor dem Supreme Court statt, dem amerikanischen Höchstgericht. Sprich: Sollte das Höchstgericht die Rechtsmeinung von Richter Leon teilen, muss die NSA die Daten von Klayman und Strange löschen - und darüber hinaus ihr Handyüberwachungsprogramm beenden.

Supreme Court ist am Zug

Wie die neun Höchstrichter voraussichtlich im Rahmen der nächsten sechs Monate urteilen werden, kann man natürlich nicht seriös voraussagen. Leons Urteil legt ihnen allerdings einige bedenkenswerte rechtliche Argumente für die Beendigung der Metadaten-Sammlung durch die NSA vor.

Erstens sei der Präzedenzfall, mit dem die US-Regierung bisher die Rechtmäßigkeit dieses Programms begründet, nicht mehr zeitgemäß. In dieser Causa „Smith vs. Maryland" aus dem Jahr 1979 beschwerte sich ein Kläger vor dem Supreme Court darüber, dass die Polizei bei seiner Telefongesellschaft ein Gerät installiert hatte, das alle Telefonnummern erfasste, die er wählte. Herr Smith verlor den Fall, weil der Supreme Court argumentierte, dass, wer seine Telefonnummer zur Veröffentlichung im Telefonbuch freigibt, nicht mit der ungerechtfertigten Verletzung der Privatsphäre argumentieren kann, wenn die Polizei erhebt, welche anderen Nummern von dieser Nummer aus gewählt wurden.

„Orwellsche Technologie"

Richter Leon erklärt dieses Argument für veraltet. Zwischen dem Stand der Technologie im Jahr 1979 und heute lägen Welten. „Wann sind die gegenwärtigen Umstände so durch und durch andersartig geworden als jene vor 34 Jahren, dass ein Präzedenzfall wie ,Smith' einfach nicht mehr passt? Die Antwort ist, leider für die Regierung, jetzt." Es sei nämlich einerlei, zu sagen, die Leute würden erwarten, dass Telefongesellschaften gelegentlich Informationen an die Polizei weitergeben, und „eine völlig andere Sache zu unterstellen, unsere Bürger würden davon ausgehen, dass die Telefonfirmen eine gemeinsame Geheimdienstoperation mit der Regierung betreiben." Leon mahnte, dass "diese beinahe Orwellschen Technologie, die die Regierung in die Lage versetzt, die Telefonmetadaten von jedem Telefonbenutzer in den Vereinigten Staaten zu speichern und zu analysieren, nichts ist, was man sich im Jahr 1979 hätte vorstellen können."

Zweitens, argumentiert Richter Leon, sei die Sinnhaftigkeit der Metadaten-Sammlung nicht nachweisbar. Er habe die NSA dazu eingeladen, ihm vereitelte Terroranschläge zu präsentieren, die dank dieses Programms zunichte gemacht worden seien. Die NSA legte keinen einzigen neuen Fall vor, sondern berief sich nur auf Fälle, die entweder durch herkömmliche geheimdienstliche Arbeit gelöst wurden oder bei denen bloß im Nachhinein die Handyverbindungsdaten eines verhafteten Terroristen auf mögliche Kontaktleute überprüft wurden. Das habe zwar die allgemeine analytische Arbeit der NSA-Bediensteten erleichtert, hielt Richter Leon fest. Einen Eingriff in die bis auf gut begründete Ausnahmen geschützte Privatsphäre der Bürger rechtfertige es allerdings nicht.

Lob von Edward Snowden

Edward Snowden, der vor der Verfolgung durch die US-Justiz wegen der Preisgabe der geheimen Akten an die Öffentlichkeit nach Moskau geflüchtet ist, lobte das Urteil. „Ich habe mit dem Glauben gehandelt, dass die Massenüberwachungsprogramme der NSA einer Verfassungsklage nicht standhalten würden, und dass die amerikanische Öffentlichkeit eine Chance verdient, diese Fragen in offenen Gerichten entschieden zu sehen", erklärte Snowden in einer Stellungnahme. „Heute hat sich im Tageslicht ein geheimes Programm, das von einem geheimen Gericht genehmigt worden ist, als Verletzung der Rechte der Amerikaner herausgestellt. Es ist das erste von vielen."

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