Bitcoin & Blockchain

Digitaler Euro: „1984“ oder einfach nur nützlich?

Noch gibt es gar keinen digitalen Euro, doch ist er bereits heftig umstritten. Einige fürchten die totale Überwachung, andere halten das dann doch für übertrieben.

In drei bis vier Jahren könnte es ihn bereits geben: den digitalen Euro. Es wäre Geld direkt von der Zentralbank, so wie Bargeld. Anleger könnten es direkt auf ihren eigenen Wallets (digitalen Geldbörsen) halten. Das Geld würde den Inhabern gehören – anders als das Giralgeld, das lediglich eine Forderung an die Bank darstellt. (Um den Banken das Geschäft nicht zu zerstören ist derzeit aber an eine Obergrenze, etwa 1000 oder 3000 digitale Euro pro Person, gedacht).

Die Europäische Zentralbank (EZB) will so die Abhängigkeit des Zahlungsverkehrs von privaten Anbietern (wie Visa oder Paypal) reduzieren sowie der Konkurrenz durch private Stablecoins (an den Dollar gekoppelte Kryptowährungen) und andere staatliche Digitalwährungen etwas entgegensetzen. Auch hofft man, Innovationen im Euroraum voranzutreiben, da zahlreiche Dienstleistungen rund um den digitalen Euro entstehen könnten, wie es in einem Paper der Zentralbank („Argumente für einen digitalen Euro: Hauptziele und Gestaltungsaspekte“) heißt. Möglicherweise will man mit diesem Argument die Sorgen des Bankensektors, er könnte an Bedeutung verlieren, zerstreuen.

„Schutz der Privatsphäre“

Der digitale Euro soll zudem einfache Nutzung und niedrige Kosten bieten. Und: „Der Schutz der Privatsphäre muss höchsten Standards genügen, und die Menschen, die den digitalen Euro nutzen, sollten entscheiden können, wie viel Informationen sie preisgeben wollen – stets im Einklang mit dem geltenden Recht.“

Denn die Gefährdung der Privatsphäre ist das Hauptargument der Gegner von digitalen Zentralbankwährungen. Sie verweisen auf China, wo derzeit ein digitaler Yuan getestet wird. Vorerst gibt es für Menschen, die ihn nutzen, Rabatte und Vergünstigungen. Kritiker fürchten aber, dass er künftig eingesetzt wird, um das dortige Social-Credit-System (Belohnung für erwünschtes und Strafe für unerwünschtes Verhalten) zu perfektionieren: Wer zu schnell mit dem Auto fährt, seine greisen Eltern nicht besucht oder sich ungesund ernährt, dessen digitales Geld könnte nur noch für eingeschränkte Zwecke freigeschaltet werden.

Weitere Befürchtungen sind, dass Staaten Negativzinsen einführen könnten, wenn digitales Zentralbankgeld erst einmal Bargeld verdrängt hätte. Auch könnten sie Fristen einführen, innerhalb derer das Geld ausgegeben werden muss. Befürworter ärgern sich über derlei Argumente: Das wolle doch gar niemand, es gehe nur um eine praktische Zahlungsmöglichkeit.

Edward Snowden, jener Aufdecker, der die Welt über das Ausmaß der Überwachung durch die NSA informiert hat, hält das Argument, man wolle Transaktionen schneller und sicherer machen, für „einen Vorwand, um den Zustand des Überwachungsstaats zu erreichen“. Auf X (vormals Twitter) schrieb er, CBDCs (digitale Zentralbankwährungen) seien „eine Perversion von Kryptowährungen“, „eine kryptofaschistische Währung“, „ein böser Zwilling“, „ausdrücklich dazu entworfen, den Usern das grundlegende Eigentum ihres Gelds vorzuenthalten“.

Joe Martin, externer Bitcoin-Berater der Volksbank Bayern-Mitte, hat einen dystopischen Roman verfasst, „2024“, eine Art Fortsetzung von George Orwells Klassiker „1984“. Die Protagonisten des Romans haben einen Skandal aufgedeckt – ein großer US-Finanzkonzern namens Blue Stone hat seine Aktivitäten im Bereich ESG (Umwelt, Soziales, Transparenz) nur erfunden und eine Whistleblowerin in den Suizid getrieben – und müssen nach Europa flüchten. Doch da ihre Verfolger ausgeklügelte Überwachung einsetzen und Europa obendrein das Bargeld abgeschafft hat und nur noch E-Euro erlaubt, können sie nicht untertauchen. Sie müssen zudem feststellen, dass ihre E-Euro mit Ablaufdatum versehen sind. Und das, obwohl sie sich gar nicht mit der EZB angelegt haben, sondern lediglich mit einem großen US-Konzern. Doch die Mächtigen sind gut vernetzt. Eine Verschwörungstheorie? Diese Frage wird im Roman aufgeworfen und verneint. Doch kann es auch in Wirklichkeit so kommen?

Hilfe auf der Flucht?

Nicht alle sind so negativ gestimmt: BCG-Experte Bernhard Kronfellner sieht den digitalen Euro durchaus ambivalent, wobei für ihn die positiven Aspekte überwiegen. Hintergrund sei wohl, dass Staaten und Zentralbanken befürchten, dass die Bevölkerung vermehrt private Digitalwährungen nutzt, und eine Alternative bieten wollen. Sie sähen aber auch die Vorteile, so würde die UNO-Flüchtlingsorganisation UNHCR Stablecoins unterstützen, die es etwa Ukrainern ermöglichen, Geld aus ihrem Land mitzunehmen, ohne das Bankenkommunikationsnetz Swift zu nutzen. Die Staaten stünden nun vor der Wahl, bestimmte Kryptowährungen zu unterstützen – oder gleich eigene auszugeben.

Nachteil einer digitalen Zentralbankwährung aus Sicht der Bürger wäre, dass jeglicher Geldfluss nachvollziehbar wäre. Die Staaten könnten theoretisch alle Zahlungen tracken und Förderungen an Bedingungen knüpfen. „Wenn ich einem Freund zehn Euro gebe, hätte der Staat die technische Möglichkeit, dies zu sehen.“ Der digitale Euro könnte also den Weg zum gläsernen Bürger ebnen, doch denkt Kronfellner, dass die EZB hier einen guten Job machen und solche Möglichkeiten vermeiden wolle.

Ein Vorteil wäre, dass man künftig auch offline und digital zahlen kann. Derzeit muss erst die Bank vor jeder Zahlung kontrollieren, ob das Geld auch wirklich auf dem Konto ist. Der digitale Euro könnte hingegen direkt auf dem Handy gespeichert sein, und man könnte direkte Peer-to-Peer-Zahlungen vornehmen. Zudem wäre es leichter, über Decentralized-Finance-Lösungen grenzübergreifend zu Krediten oder anderen Bankdienstleistungen zu kommen. Sogar internationale Zahlungen könnten vereinfacht werden, wenn zwischen den unterschiedlichen digitalen Währungen ein Stablecoin ins Spiel kommt.

Gegenteil von Bitcoin

Doch wäre der digitale Euro eine Konkurrenz zu Bitcoin oder anderen Kryptowährungen? Das glaubt Kronfellner nicht, denn Bitcoin sei das Gegenteil zum digitalen Euro, weil es dezentral ist und niemand Zugriff hat. Möglicherweise würde der digitale Euro die Verbreitung von Bitcoin und anderen Kryptowährungen sogar begünstigen. Banken könnten Wallets anbieten, auf denen man sowohl digitale Euro als auch Bitcoin und andere Kryptowährungen halten könnte. Das wären dann wohl „Custodial Wallets“, also solche, zu denen man nicht selbst die Schlüssel hält, sondern die Bank. Eingefleischte Bitcoin-Fans, die nach der Regel „Not your key, not your coin“ (ohne Schlüssel ist es nicht dein Geld) leben, würden derlei Angebote zwar nicht annehmen, viele Menschen aber schon.

Es dürfte also zu einer friedlichen Koexistenz von digitalem Euro, Bitcoin und Bargeld kommen. Doch was ist, wenn in ein paar Jahrzehnten Bargeld bedeutungslos geworden und der digitale Euro das einzige dominante Zahlungsmittel ist? Könnte er dann doch zum Überwachungsinstrument werden? Das wird sich zeigen. 2024 wird es noch nicht so weit sein.

Bitcoin-Konferenz

Von 14. bis 17. September findet in Innsbruck die BTC23, die größte Bitcoin-Konferenz im deutschen Sprachraum, statt. Einer der Redner ist Joe Martin, Autor des dystopischen Romans „2024“. Weitere Speaker sind Bitcoin-Podcaster Niko Jilch oder Max Tertinegg von Coinfinity. www.bconf.de.

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