Franziskus, niemals allein

Rom Vatikan 18 12 2013 Papst Franziskus I bei der woechentlichen Generalaudienz auf dem Petersplat
Rom Vatikan 18 12 2013 Papst Franziskus I bei der woechentlichen Generalaudienz auf dem Petersplatimago/Ulmer
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Jenseits aller scheinbaren Spontaneität weiß dieser Papst aus Argentinien sehr genau, was er macht. Und Franziskus weiß ebenso genau, wohin er will.

Rom. Als man Albino Luciani am Morgen des 29. September 1978 tot im Bett fand, kursierte der Verdacht, „dunkle Mächte“ hätten den erst 33 Tage amtierenden Papst aus dem Weg geräumt, weil dieser aufräumen wollte mit trüben und/oder verbrecherischen Machenschaften in Vatikanbank und römischer Kurie. Heute, nach einer Reihe weiterer und nach Kräften vertuschter Skandale, macht sich wieder ein Papst an diese Herkulesaufgabe.

Doch Franziskus geht anders zu Werke als Johannes Paul I. Was immer diesem zugestoßen ist: Er war damals allein. Allein im päpstlichen Appartamento, allein einer gut geölten Behördenmaschinerie gegenüber, wo „erfahrene“ Kurienkardinäle dem von außen hereingeschneiten Neuling – selbst wenn dieser nominell ihr Chef war – schnell beibrachten, was er tun durfte und was nicht. Ein „das haben wir schon immer so gemacht“ gilt nicht nur in weltlichen Bürokratien als Hauptwaffe gegen Veränderung. Auch Franziskus stand und steht neun Monate nach seiner Wahl unter dem Druck des Apparats.

„Übermorgen werden wir bereuen“

Dass er vom ersten Moment an Feierlichkeit bei seinen Auftritten vermindert hat gemessen an jener liturgischen und pseudoliturgischen Überästhetisierung, die unter Benedikt XVI. eingezogen war; dass er schon vom zweiten Tag an die praktisch ausschließlich aus Spitze bestehenden Chorröcke seiner Gottesdienstassistenten resolut in die Sakristeischränke zurückverwiesen hat; dass er bei der Messe nie singt (weil er unmusikalisch ist) und am Altar die vorgeschriebenen Kniebeugen vermeidet (weil das die Glieder nicht mitmachen) – das zum Beispiel kreiden ihm die auf Schöngeistigkeit und optische Korrektheit gepolten Zeremonienregenten massiv an. Oder, wie es ein hoch gestellter Monsignore erst dieser Tage wieder formulierte: „Da wird unter dem Vorwand der Armut an Textil gespart. Da wirft Franziskus so viel über Jahrhunderte gewachsene Erfahrung einfach weg. Übermorgen werden wir das bereuen.“

So mancher klerikale Beamte, der im Apostolischen Palast sein Büro hat – wo auf der Chefetage der Papst wohnen sollte, Franziskus aber nicht wohnen will – beklagt, wie „seelenlos“ der Bau geworden sei, wie „abgewertet“ man sich dort fühle, zumal Franziskus noch nie ein positives Wort habe fallen lassen über seine doch so engen und ebenso engagiert wie effizient tätigen Kurienmitarbeiter. Und – „klar, er ist der Papst“ – sei es denn wirklich nötig gewesen, zur Kurienreform einen Kardinalsrat aus aller Welt zusammenzutrommeln, „wo nur ein Einziger aus eigener Erfahrung weiß, wie es im Vatikan zugeht?“

Nicht in Einsamkeitsfalle getappt

Auch deshalb hat Franziskus immer schon darauf geachtet, gegenüber dem Apparat nicht in die Einsamkeitsfalle zu tappen. Jenseits aller scheinbaren Spontaneität weiß er sehr genau, was er macht und wohin er möchte. Er will sich nicht in die Isolation des „Appartamento“ und ins Korsett „amtlich verpflichtender“ – also von anderen gemachter – Termine sperren lassen.

Bei seinen Reformplänen für Kurie und Kirche, Vatikanbank und Güterverwaltung betont er, dass sein Mandat breiter ist, dass er einem einstimmigen Wunsch, wenn nicht gar einem Auftrag aus dem Konklave nachkomme – also den vollständig versammelten Kardinälen der Welt. Ebenso dann, wenn er für die Bischofskonferenzen der Länder oder Erdteile mehr Eigenständigkeit anregt, wenn er „heilsame Dezentralisierung“ verlangt. Es ist nicht mein privates Projekt, sagt Franziskus, nicht das eines „fast vom Ende der Welt geholten“ Vatikan-Greenhorns: Nein, es ist „die Kirche“, die das will.

Gleichzeitig hat sich Franziskus im gläubigen – oder einfach nur faszinierten – Volk einen menschlichen Rückhalt gesichert, wie ihn seit dem Erneuerer Johannes XXIII. vor einem halben Jahrhundert kein Papst mehr hatte. Er ist nicht nur viel häufiger öffentlich präsent als Benedikt XVI.; aus einem Lächeln gegenüber dem Volk ist nun auch Berührung geworden, Hautkontakt. Dies sogar im körperlichen Sinn, etwa wenn Franziskus auf dem Petersplatz einen Kranken küsst, der voller Geschwüre ist.

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Den Rechtgläubigen, die Angst haben, der so unkonventionell auftretende Neue könnte das Gebäude katholischer Lehre unterminieren, entgegnet beispielsweise der Regensburger Theologe Stefan Ahrens aus dem „Neuen Schülerkreis Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.“ auf unüberbietbare Weise: „Franziskus nimmt von der Lehre der Kirche nichts weg, sondern fügt sich selbst hinzu.“ Und nach neun Monaten sehen sich im Vatikan sogar Skeptiker gedrängt, Kardinal Walter Kasper recht zu geben. Dieser sagte schon am Tag nach Bergoglios Wahl zum Papst: „Er wird die Asche, die sich über die Glut des Evangeliums gelegt hat, wegräumen und durch seinen Stil die Botschaft Jesu von der Barmherzigkeit zum Leuchten bringen.“

Zu seinem jüngsten Geburtstagsfrühstück lud Franziskus drei Obdachlose ein. Die Hirten müssten nach ihren Schafen riechen, hat er gesagt. Da war er tatsächlich, dieser Geruch. Mitten im Vatikan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2013)

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