Russlands Nordkaukasus: Befriedung, aber kein Frieden

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In Kabardino-Balkarien kämpfen Sicherheitskräfte gegen Islamisten – die Demokratie bleibt dabei auf der Strecke.

Naltschik. Über den Lenin-Prospekt im Zentrum Naltschiks flanieren Familien. Auf dem Platz vor dem Regierungssitz, dem sogenannten Weißen Haus, ziehen tagsüber Kinder mit Dreirädern und Elektroautos ihre Runden, abends versammeln sich Jugendliche um den Brunnen. Es scheint, als hätte die Hauptstadt Kabardino-Balkariens ihre schlimmste Zeit hinter sich.

Schlimm war etwa der 13. Oktober 2005. Damals drangen mehr als 200 Kämpfer des islamistischen Dschamaat Jarmuk in die Stadt ein und verübten Anschläge auf russische Sicherheitseinrichtungen. Bei der Antiterror-Operation tags darauf starben nach offiziellen Angaben 142 Menschen. Blutig waren auch die vergangenen Jahre in der russischen Teilrepublik, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu Inguschetien und Tschetschenien liegt. 2010 starben 70 Menschen infolge des bewaffneten Konflikts zwischen Sicherheitskräften und lokalen militanten Islamisten, 2011 waren es 129, 2012 noch 107.

Immer neue Attentäter

Verüben Terroristen Anschläge auf russische Städte, wie vor einigen Tagen in Wolgograd, gerät der Nordkaukasus-Konflikt wieder in das internationale Bewusstsein. Im Nordkaukasus selbst gehört der Konflikt – und seine Folgen: die Terrorangst und die Einschränkung von Bürgerrechten – zum Alltag. Auch im gebirgigen Kabardino-Balkarien mit seinen 860.000 Einwohnern.

Viele Anführer des salafistischen Untergrundes, der anders als etwa in Tschetschenien vor allem als städtische Guerilla operiert, sind in den vergangenen Jahren getötet worden. „Derzeit ist es ruhiger. Aber wir wissen nicht, wie es morgen sein wird“, sagt eine lokale Journalistin, die anonym bleiben will. In Naltschik traut man der Ruhe nicht. Denn der schwelende Konflikt, der die Republik im Griff hat, kann stets wieder ausbrechen.
Tatsächlich berichten die Lokalzeitungen fast täglich von Zwischenfällen: Schusswechsel, auf Sicherheitseinrichtungen geworfene Granaten, Antiterror-Operationen, kurz KTO, für die Stadtbezirke stundenlang abgeriegelt werden.

„Alle zwei Jahre wird die Führung der Bewegung ausgelöscht“, sagt Valerij Hataschukow. „Doch es kommen immer neue Anführer nach.“ Hataschukows Organisation Menschenrechtszentrum hat ein Erdgeschoßbüro in einem Wohnblock. Eine Videokamera scannt den Eingangsbereich, doch die Tür steht sowieso offen. Zwei schmucklose Räume, im hinteren sitzt ein Mann mit schwarzem Haar und grauem Schnurrbart. In Naltschik ist er bekannt, seine Arbeit „riskant“ zu nennen, sei noch vorsichtig ausgedrückt, sagt Hataschukow.

Die momentane relative Ruhe habe ihren Preis, sagt der Aktivist. Er findet ihn zu hoch: Es ist der Preis von Menschenrechtsverletzungen. Immer wieder erfährt er von illegalen Anhaltungen und von Folter, die im Gewahrsam der Sicherheitskräfte verübt wurde. Und manchmal „verschwinden“ Menschen. 2012 zählte Hataschukow sieben Fälle, 2013 bislang drei. Aufgeklärt sind sie nicht; gerüchteweise stecken die gefürchteten Sicherheitskräfte, die „Silowiki“, dahinter. „Wir können nur auf die Fälle aufmerksam machen“, sagt Hataschukow, der ein beunruhigendes Bild skizziert: Die föderalen Sicherheitskräfte, die in den Nordkaukasus beordert werden, agierten im rechtsfreien Raum. Die Organe der Teilrepublik, auch der Präsident, seien machtlos. „Die Kontrolle der Macht ist unser Problem“, sagt er. „Die Macht geht nicht vom Volk, sondern von der Macht aus.“ Die nordkaukasischen Republiksfürsten, die sich in der Öffentlichkeit so gern als starke Hausherren präsentieren, seien es nicht. Dem Sicherheitsapparat seien auch sie untergeordnet.

Harte versus weiche Methoden

Und eben der föderale Sicherheitsapparat und seine harten Methoden sind es, die im Nordkaukasus den Ton angeben – obwohl man seit einigen Jahren auch mit sanfteren Methoden experimentiert. Sanfte Methoden, die der „Bevollmächtigte des russischen Präsidenten für den Nordkaukasus-Föderationsbezirk“ anwenden soll. Diesen schönen Titel trägt Aleksandar Hloponin, seit 2010 im Amt. Seine Mission sind die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Bergregion, Kampf gegen Arbeitslosigkeit, Perspektiven für die Jungen, die Befriedung des Gebiets mit Finanzspritzen aus Moskau.

Doch Experten wie Hataschukow ziehen eine gemischte Bilanz. Die politische Führung der Republik und der Kreml, so kritisiert der Menschenrechtler, kümmerten sich viel zu wenig um Ursachenforschung. Zivile Methoden der Konfliktbearbeitung wie etwa staatliche Integrationskommissionen, die willigen Militanten den Ausstieg aus dem Untergrund erleichtern sollen, funktionierten nicht. Hataschukow glaubt, dass der Terror mit anderen Waffen bekämpft werden muss: „Es geht um den Kampf gegen Korruption, um mehr Föderalismus und Demokratie.“

Zur Person

Valerij Hataschukow ist Direktor des Menschenrechtszentrums Kabardino-Balkarien. Der Aktivist arbeitet Menschenrechtsverletzungen durch die allgegenwärtigen Sicherheitskräfte auf, er beobachtet Gerichtsprozesse und bemüht sich um ein friedliches Zusammenleben der ethnischen Gruppen im Nordkaukasus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2014)

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