Wissenschafterin des Jahres: Meisterin der Umweltgeschichte

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Verena Winiwarter erforscht die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Gesellschaft und Umwelt.

Über Wirkungen und unerwünschte Nebenwirkungen Ihres Tuns und Handelns informiert Sie Ihr Umwelthistoriker.“ Das ist einer jener Sätze, mit denen Verena Winiwarter ihr Fachgebiet, die Umweltgeschichte, zu beschreiben pflegt. Die Forscherin hat diese Disziplin in Österreich in den vergangenen drei Jahrzehnten quasi im Alleingang aufgebaut. Für ihre unermüdlichen Anstrengungen, die Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, wurde sie gestern, Dienstag, als Wissenschafterin des Jahres ausgezeichnet. Dieser Preis wird seit 1994 jährlich vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten vergeben, die Liste der Preisträger (siehe rechts unten) ist ein Who's who der österreichischen Wissenschaftsszene.

„Umweltgeschichte handelt von der Gegenwart und von der Zukunft, indem sie die Vergangenheit beschreibt“, ist ein anderer Satz, den man häufig von Winiwarter hört: Aus der Analyse, wie sich Gesellschaft und Umwelt gegenseitig beeinflussen, kann man viel lernen, und zwar nicht nur über die Folgen des menschlichen Tuns für die Umwelt, sondern auch darüber, wie die Interventionen wiederum auf die Gesellschaft zurückwirken.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Ergebnisse des vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts Enviedan, in dem die Geschichte der Donau im Wiener Raum in den vergangenen 500 Jahren erforscht wurde: Der Bau von Dämmen zur Lenkung des Flusslaufs hat die Gefahr von Überflutungen nicht gelöst, sondern nur flussabwärts verschoben; der Bau von Brücken über die Donau verstärkte die winterlichen Eisstöße (weil sich das Eis an den Pfeilern stauen konnte und dadurch noch schlimmere Schäden anrichtete).

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Der Mensch schafft sich eine für ihn günstige Umwelt – und um diesen Zustand zu erhalten, muss er dauerhaft Arbeit verrichten. „Umweltgeschichte hält der Gesellschaft einen Spiegel vor: Sie zeigt uns, wie sehr das Erbe der Vergangenheit unsere Handlungsmöglichkeiten in der Zukunft einschränkt“, so Winiwarter. Diese „Selbstbindung der Gesellschaft“ wird in praktisch allen Projekten ihrer Arbeitsgruppe sichtbar – etwa bei den Auswirkungen des Wintertourismus auf alpine Täler, beim historischen Zuckerrohranbau in Südamerika, bei der Aluminiumherstellung oder bei der Überdüngung von Äckern in Österreich. Umweltgeschichte sei stets so etwas wie eine „retrospektive Technikfolgenabschätzung“, sagt die Forscherin.

Interdisziplinäres Forschen

Die beiden Pole Technik und Gesellschaft bestimmten von Anfang an den akademischen Werdegang Winiwarters: Nach Realgymnasium und HTL begann sie als Chemikerin in einem Umweltlabor an der TU Wien. Das war ihr aber zu wenig, sie begann nebenher, Publizistik und Geschichtswissenschaften an der Uni Wien zu studieren, schon in ihrer Diplomarbeit und Dissertation verband sie die beiden Pole.

Nicht weniger als 26 Jahre lang finanzierte Winiwarter ihr Leben durch befristete Forschungsprojekte; ihre Berufung als Professorin an das Institut für Soziale Ökonomie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt 2007 war gleichzeitig ihre erste fixe Anstellung als Wissenschaftlerin. Neben der Forschung übt sie derzeit zudem das Amt einer Dekanin der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) aus – nicht etwa, weil ihr die Verwaltungstätigkeit so sehr gefallen würde, betont sie, sondern, weil sie dadurch die Rahmenbedingungen für interdisziplinäres Forschern optimal gestalten könne.

Was gebe es am österreichischen Uni-System zu verbessern? Winiwarter meint, dass man vor allem eines aus dem angelsächsischen Raum lernen könne: dass man jungen Forschern mehr zutrauen und ihnen schon früher die Leitung unabhängiger Forschungsgruppen ermöglichen solle.

Und noch etwas liegt ihr am Herzen: Gerade angehenden Naturwissenschaftlern und Technikern – „diese haben das größte Potenzial, die Gesellschaft zu verändern“ – sollte man mehr Wissen über gesellschaftliche Veränderungen und den Umgang damit vermitteln. Und zwar im Sinne einer umfassenderen Bildung an den Universitäten. „Bildung heißt, Denken zu lernen, mit Werkzeugen des Analysierens umgehen zu können.“ Nachsatz: „Das scheint mir unter die Räder gekommen zu sein.“

Die bisherigen Preisträger

Wissenschafter des Jahres waren bereits Georg Wick (1994), Stefan Karner (1995), Anton Zeilinger (1996), Rudolf Rieder und Heinrich Wänke (1997), Herbert Budka (1998), Christoph Badelt (1999), Hildegunde Piza (2000), Ulrich Körtner (2001), Renée Schroeder (2002), Josef Penninger (2003), Rudolf Taschner (2004), Helga Kromp-Kolb (2005), Konrad Paul Liessmann (2006), Wendelin Schmidt-Dengler (2007), Fatima Ferreira (2008), Rudolf Grimm (2009), Kurt Kotrschal (2010), Sabine Ladstätter (2011), Georg Grabherr (2012).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2014)

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