Zentralafrikanische Republik: Wo das Gesetz der Machete regiert

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Nach Frankreich und der Afrikanischen Union erwägt jetzt auch die EU die Entsendung von Soldaten. Andernfalls gleitet das Land vollends in einen blutigen Krieg zwischen Christen und Muslimen ab.

Bangui. Manuela Sogbe ist Christin. Ihr Ehemann Ahmed Azolou ist Moslem. Gemeinsam haben sie eine Tochter, Mounsalifa, die 19Monate alt ist. „Ich will bis zu meinem Lebensende mit ihr zusammen sein“, sagt Azolou. Das hat er auch bei ihrer muslimischen Hochzeit zu tun gelobt. „Unsere Familien haben das immer akzeptiert“, erzählt die junge Frau. Wir sitzen in ihrem kleinen Haus nahe des Kilometer 5, in einem vorwiegend muslimischen Viertel der Hauptstadt Bangui. Draußen können wir uns nicht offen unterhalten.

Ehen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften sind in der Zentralafrikanischen Republik nicht der Regelfall, obwohl die sich in der Minderheit befindenden Muslime mit dem Rest der Bevölkerung friedlich Seite an Seite lebten. Bis zuletzt. Seit März 2013, als sich der derzeitige Präsident Michel Djotodia an die Staatsspitze geputscht hat, haben gewalttätige Auseinandersetzungen das Land an den Rand eines Bürgerkriegs gedrängt.

Fast eine Million auf der Flucht

Mittlerweile zählen Hilfsorganisationen über 950.000 Vertriebene, davon die Hälfte allein in Bangui. Ärzte ohne Grenzen (MSF) mussten ihren Einsatz drastisch einschränken. Die UNO warnt vor einem humanitären Desaster, das längst begonnen hat. Die EU plant die Entsendung eines bis zu 1000 Mann starken Bataillons.

Die Ereignisse der letzten Wochen habe ihr Verhältnis nicht verändert, sagt Sogbe. Sie muss den Glauben ihres Mannes annehmen. Sie habe das Verfahren zu ihrer Konvertierung zwar begonnen, aber das brauche Zeit. Die Hochzeit sei allerdings kein Problem gewesen. Das junge Ehepaar war auch in der Vergangenheit offen gegenüber anderen Religionen gewesen. Sie hatte Beziehungen mit Muslimen, er mit mit Christinnen.

In den Flüchtlingslagern erzählen viele Menschen jedoch Gräuelgeschichten. Der Hass sitzt tief. „Wir haben keine Angst“, sagt Azolou. Doch ganz scheint das nicht zu stimmen. Der Straßenverkäufer hat seit Ausbruch der heftigen Gefechte am 5.Dezember seine Arbeit aufgegeben. Seine Frau, eine BWL-Studentin, geht zu keinen Vorlesungen, weil die Universität geschlossen ist. Er befürchtet, seine Familie nicht versorgen zu können. Und seine Frau traue sich nicht zur Beerdigung ihres Vaters, der an einem Herzinfarkt verstarb, zu gehen.

Auch im Nordwesten des Landes hat sich die Lage verschärft. Eine muslimische Frau erzählte Human Rights Watch (HRW) von den Gräueltaten, deren Augenzeugin sie wurde. Christliche Anti-Balaka-Milizen kamen um fünf Uhr morgens, als sie draußen kochte. Sie hätten ihren Ehemann mit Macheten gefoltert, bevor sie ihm den Hals durchschnitten. „Nachdem sie ihn getötet hatten, steckten sie das Haus in Brand und warfen seinen Leichnam ins Feuer, gemeinsam mit denen meiner Söhne.“ Auch ihren 13-Jährigen Sohn hätten die Männer ermordet – so wie auch alle anderen männlichen Mitglieder der Gemeinschaft. HRW hat zahlreiche Augenzeugenberichte gesammelt und Racheakte der muslimischen Seleka-Milizen dokumentiert.

Die militärischen Zustände im Land sind – gelinde ausgedrückt – chaotisch. Es gibt eine nationale Armee. Interimspräsident Djotodia hat teilweise Mitglieder seiner Rebellenorganisation Seleka (wörtlich: Koalition) in diese Truppen integriert; vorwiegend jene Mitstreiter, die seiner Ethnie, den Gula, angehören. Andere haben sich als inoffizielle Loyale an die nationalen Einheiten angehängt.

Wiederum andere Seleka-Milizen – viele davon Tschader und Sudanesen – plünderten, vergewaltigten und töteten und schürten so den Hass der mehrheitlich christlichen Bevölkerung. Inzwischen sind 1600 französische Soldaten vor Ort und unterstützen die 4000 Mann starke Friedenstruppe der Afrikanischen Union.

Die Grenzen verschwimmen. Keiner hat die Kontrolle, keiner die Übersicht. In einem Land, in dem die Außenministerin mit ähnlich wenig bürokratischem Aufwand wie ein nicht angemeldeter Arbeiter entlassen werden kann – wie es ein westlicher Diplomat formuliert –, ist es schwierig, den Überblick zu behalten. Das „Rumpfkabinett“ Djotodias hätte nie die Kapazität gehabt, das krisengeschüttelte Land in den Griff zu bekommen.

Nicht zuletzt deswegen verlangen die neuen Oppositionellen, Anti-Balaka, die Rückkehr des Altpräsidenten, François Bozizé.

In einem Außenbezirk von Bangui treffen wir unter einem Mangobaum Mitglieder der Bewegung. Über uns kreisen Helikopter des französischen Militärs. „Es ging uns nicht gut damals“, sagen sie über die Ära Bozizé. „Aber zumindest hielt das Volk zusammen.“ Zumindest habe es nicht jenen Hass gegeben, der die Bevölkerung wie heute spaltet. Dutzende Kämpfer dieser Anti-Balaka-Einheit ziehen an uns vorbei. Bewaffnet mit Sturmgewehren oder Macheten. In kaputten blau-grünen Gummisandalen.

Tritt der Präsident zurück?

So sehr die Ehepartner Sogbe und Azolou versuchen, das Bild einer friedlichen Normalität zu zeichnen– es gelingt ihnen nicht. Während vor der Tür regelmäßig Menschen getötet werden, glauben sie dennoch: „Die Franzosen werden wieder Frieden und Ordnung herstellen.“ Azolou fügt enthusiastisch hinzu: „Wir wollen noch weitere fünf Kinder.“

Am Donnerstag verbreitete die Nachrichtenagentur Reuters am Rande eines Krisengipfels im Tschad die Kunde vom nahenden Rücktritt des Präsidenten. Doch Djotodias Sprecher dementierte. Aber selbst in Djotodias eigenen Reihen gibt es Bedenken, dass er fähig ist, das Land in eine bessere Zukunft zu führen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2014)

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