Faymann: "Die SPÖ hat manche vernachlässigt"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Bundeskanzler und SPÖ-Chef 125 Jahre nach Gründung der Partei: Aufgabe der Sozialdemokratie heute ist es, eine Dauerkrise zu verhindern. Und er will die SPÖ öffnen.

Gratuliere zu 125 Jahren SPÖ. Wie und wann wollen Sie die SPÖ prägen?

Werner Faymann: Am liebsten wäre mir, wenn die Bevölkerung sagt: Ein sozialdemokratischer Bundeskanzler hat uns gut durch die Krise geführt und gut aus der Krise herausgeführt. Das beinhaltet all das, was mir an Wertehaltungen für die Entwicklung des Landes wichtig ist: Chancen für Junge, respektvoller Umgang, Beschäftigung für ältere Menschen, die, wenn sie nach Arbeit suchen, auch eine finden. Ein Sozialdemokrat der Siebzigerjahre hatte die Möglichkeit – wenn er es richtig gemacht hat wie Bruno Kreisky – mit Reformen zu punkten: in Richtung doppelte Wohnfläche für jeden, doppelte Zulassung an Autos. Heute ist die Aufgabe der Sozialdemokratie, zu sagen: Diese Krise haben nicht die Ärmsten bezahlt, die Krise hat nicht den sozialen Zusammenhalt zerstört, und die Krise hat nicht zu einer Dauerkrise geführt, aus der man nicht mehr rauskommt. Dank der SPÖ wurden die geschützt, die einen besonderen Schutz brauchen, und es wurden die Weichen so gestellt, dass man miteinander wieder etwas verdient, was man auch verteilen kann.

Alle, die Geld auf dem Sparbuch haben, auch kleine Sparer, werden bezahlen: durch Nullzinsen und höhere Inflation. Das ergibt schleichende Enteignung.

Das ist zu viel gesagt!

Das ist möglicherweise zu scharf formuliert. Aber ein Verlust ist es auf jeden Fall.

Gut, aber man muss umgekehrt sagen, dass bei einer Wirtschaftskrise, die Millionen vernichtet hat, irgendwer betroffen sein muss. Mir wäre am liebsten, es wäre nur eine Gruppe betroffen, die sich von der Realwirtschaft entfernt hat und mit Finanzspekulation verdient. Die können das aber, wie man weiß, nicht bezahlen. Und da sind wir schon mitten in europäischen Themen. Eine Land aus der Krise herauszuführen ist keine Frage für eine „Insel der Seligen“, sondern braucht eine europäische Politik. Einiges wurde in Richtung Bankenunion und Maßnahmen gegen Spekulation eingeleitet. Aber es ist nicht einmal der halbe Weg zum Ziel.

Sie haben die Frage als Kanzler beantwortet, nicht so sehr als SPÖ-Chef. Wie prägt der SPÖ-Chef Werner Faymann die Partei?

Indem er sie wieder dorthin führt, wofür Bruno Kreisky den Ausdruck verwendet hat: die Menschen ein Stück des Weges mitzunehmen. Also aufzumachen zu sozial Engagierten, die sich vielleicht in der SPÖ noch nicht so dazugehörig fühlen, weil entweder die Struktur nicht attraktiv ist, oder weil sie zu viel verlangt. Die SPÖ hat manche ein bisschen vernachlässigt. Ich glaube, da gibt es viele Chancen für die Sozialdemokratie, an Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

Und zwar?

Das ist eine Frage von Organisationsformen, Signalen und Strukturen. Wenn man mit sozial engagierten Organisationen eine Form der Zusammenarbeit findet, oder gesellschaftlich aktive Menschen einbindet, geht man ein Stück auf die zu, die sich engagieren, aber eben nicht in einer Partei.

Weiß das Norbert Darabos schon?

(Lacht.) Norbert Darabos ist ein gutes Beispiel, weil das Burgenland, aus dem er kommt, eines jener Länder ist, in denen die vielen Organisationen und Vereine und Interessengruppen noch eine relativ gute Durchmischung in der SPÖ haben. Das ist in den Städten stark verloren gegangen. Daran müssen wir arbeiten.

Bruno Kreisky hatte, wie Sie sagten, eine Art sozialdemokratische Wachstumsstrategie für alle. Das geht nicht mehr, weil das Geld dafür fehlt.

Und weil wir schon viel erreicht haben.

Soll sein. Jetzt gilt es für Sie entweder abzusichern oder neu aufzustellen...

Modifizieren, fairer gestalten...

Das ist eine undankbare Aufgabe, es geht also eher darum, kleinere rote Brötchen zu backen.

Etwas abzusichern ist weniger spektakulär für den Einzelnen, als ihm das Doppelte zu ermöglichen. Was wäre Ihnen lieber: die Budget- und Wachstumsraten der Siebzigerjahre oder die Budgetprognosen eines Herrn Aiginger? Wir wissen beide, was wir aussuchen würden. Heute stehen wir vor einer anderen Aufgabe. Das soll man offen eingestehen. Wir liegen im Spitzenfeld Europas und halten den Wohlstand. Es gibt Länder, in denen es einer Oberschicht gut geht, allen anderen nicht.

Bei Bruno Kreisky waren es Wohlstand und Arbeit für alle, Viktor Klima trippelte auf den dritten Weg Tony Blairs. Alfred Gusenbauer sprach von der solidarischen Hochleistungsgesellschaft. Was ist Ihr Begriff, Ihr Modell? Derzeit sehe ich nicht, dass die Sozialdemokraten in Europa eine gemeinsame Vision haben, wie man sich entwickelt.

Sollten wir aber entwickeln. Und wenn man vom fairen Europa spricht, dann beinhaltet das das Bekenntnis zu Menschenwürde, fairen Chancen von Bildung bis Gesundheitspolitik.

Wir haben gerade eine Finanz- und Wirtschaftskrise erlebt. Dennoch können die Sozialdemokraten, die alten Feinde der Börsen, nicht punkten. Die Konservativen in Europa sehr wohl.

Der Sozialdemokratie wird dort, wo sie in irgendeinem Bereich vor der Mitverantwortung steht, auch vorgeworfen, dass sie nicht ausreichend Menschen geschützt hat. Bei der Europawahl werden die Sozialdemokraten, die in der Opposition sind, in Summe bessere Ergebnisse zu erwarten haben als jene, die in der Verantwortung stehen. Es geht um die Vereinbarkeit von Verantwortung und Glaubwürdigkeit: Wie kann die Sozialdemokratie Fairness und Gerechtigkeit schaffen, Spekulation verhindern, Finanzmärkte kontrollieren? Dann sind wir schon bei einem wichtigen Thema, beim Eingeständnis, dass viele Lösungen für soziale Fairness national gar nicht mehr erreichbar sind. Und dass jemand, der die Sozialdemokratie national einigelt, die Sozialdemokratie in die falsche Richtung führen würde.

Sie bauen schon vor, dass die Europawahl nicht so berauschend sein könnte.

Es gibt zumindest allen Grund wachzurütteln. Praktisch eine Partei, die FPÖ, hat eine Art Monopol auf Ablehnung und Austritt aus der EU, da ist natürlich so eine Wahlauseinandersetzung eine extreme Herausforderung.

Aber das Ziel bleibt Platz eins, oder?

Wir waren nicht auf Platz eins. Für die SPÖ muss das Ziel immer Platz eins sein. Aber man muss fairerweise sagen, wir waren das letzte Mal unmittelbar nach der Nationalratswahl, als ich Erster war, bei der EU-Wahl Zweiter. Und gerade bei der Europawahl gibt es gar keinen Grund, hochmütig zu sein, ganz im Gegenteil. Wir müssen die Alarmglocken schrillen lassen, und sagen, Achtung, das ist eine Wahl, bei der uns klar sein muss, dass auch ein guter Teil unserer potenziellen Wähler zu Hause bleibt.

Was wurde eigentlich aus dem neuen SPÖ-Programm?

Die Programmdiskussion hat holprig begonnen, weil wir gesagt haben, das sollen Junge und Ältere gemeinsam machen. Das ist in die Richtung gegangen, ob Charly Blecha der Richtige für eine Programmdiskussion ist. Gewisse Gegensätzlichkeiten, dem Alter, dem Inhalt entsprechend, unterschiedlicher Strömungen, Richtungen in der Sozialdemokratie schaden so einer Programmdiskussion nicht. Gerade Bruno Kreisky hat bewiesen: viel mehr Gegensätzlichkeit als in seiner Regierung zwischen Johanna Dohnal, Christian Broda, Karl Lütgendorf, Hannes Androsch,...

Wo ist Ihr Broda, wo ist Ihre Dohnal?

Spannungsverhältnisse unterschiedlicher politischer Akzentuierungen in der SPÖ sind Teil ihrer Geschichte. Früher wurde das von allen akzeptiert, und niemand wäre auf die Idee gekommen, von Kreisky zu verlangen, dass er völlig idente Aussagen auf Journalistenfragen zu allen Themen zwischen Johanna Dohnal und Hannes Androsch zustande bringt.

Sie sind in die Verhandlungen mit der ÖVP gegangen und haben weder Vermögensteuer noch Erbschaftssteuer. Das finde ich zwar gut, aber für Ihre Partei gilt das nicht. Woher kommt diese originelle Verhandlungstaktik?

Öffentliche Diskussionen über Monate will keiner. Wenn ich im Wahlkampf sage, es ist keine Bedingung, aber meine tiefe Überzeugung, dass ich für ein bestimmtes Thema eintrete, ist das etwas völlig anderes, als wenn ich in noch nicht einmal begonnenen Verhandlungen etwas verlange, was mit dem Partner nicht umsetzbar ist. Ich habe nie gesagt: Das kommt. Sie sind mein Zeuge.

Stimmt.

Wenn jemand für eine Sache eintritt, bedeutet es einen Kompromiss, dass man auf einem Stück seines Weges mit einem Koalitionspartner abschließt – aber eben nicht das Ziel erreicht.


Aber genau deswegen ermüden wir.

Gleichzeitig interpretieren Sie jeden Meinungsunterschied als Streit. Wenn ich damit rechnen muss, dass ein Unterschied als Streit disqualifiziert wird, wenn ich damit rechnen muss, dass ich in einer Sache, für die ich glühend eintrete, als Umfaller gesehen werde, wenn ich sie nicht zu hundert Prozent erreiche, ist das schon sehr schwierig.

Also die Erwartungshaltung niedrig halten?

Realistisch ansetzen, um diese Enttäuschung zu vermeiden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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