Der Status quo ist seine Vision

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Ihr 125-Jahr-Jubiläum erinnert die SPÖ daran, dass sie noch keine Antwort auf die Frage gefunden hat, wie eine moderne sozialdemokratische Partei aussehen könnte. Das liegt auch am Parteichef.

Wien. Alfred Gusenbauer wollte, konnte aber nicht. Oder bekam die Zeit nicht dafür. Werner Faymann könnte, will aber nicht: der SPÖ seinen persönlichen Stempel aufdrücken, wie es ein Bruno Kreisky oder auch ein Franz Vranitzky getan hat.

Dieser Befund mag nicht ganz neu sein, er gewinnt in diesen Tagen aber wieder an Bedeutung – vor allem unter jenen Sozialdemokraten, denen Programmatik wichtiger als Pragmatismus ist. Denn die SPÖ feiert heute, Samstag, ein besonderes Jubiläum: Zum Jahreswechsel 1888/89 hat Victor Adler die verschiedenen Strömungen der österreichischen Arbeiterbewegung in Hainfeld auf einen gemeinsamen Weg eingeschworen. Es war die Geburtsstunde der Partei.

Höhepunkt des heutigen Festakts in Hainfeld ist eine Rede des Parteivorsitzenden. Werner Faymann wird kurz zurück- und dann in die Zukunft der Sozialdemokratie blicken. Betonen, wie wichtig Solidarität in einer demokratischen Gesellschaft ist. Und seine Parteifreunde daran erinnern, dass es Aufgabe der SPÖ ist, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Neue Sichtweisen oder visionäre Ansagen sind dabei nicht zu erwarten. Sie wären auch eine Überraschung.

Werner Faymann ist kein Ideologe, der seine Nächte mit politisch-philosophischen Überlegungen durchwacht. Sondern ein Verwalter des Status quo, ein Buchhalter der Macht. Alfred Gusenbauer träumte von einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“, Viktor Klima propagierte Ende der Neunzigerjahre den „dritten Weg“, auch wenn seine PR-Strategen diesbezüglich Anleihe beim Briten Tony Blair genommen hatten. Faymann will etwas anderes: Bleiben, was er ist. Und, dass alles so bleibt, wie es ist. Von der Schulpolitik einmal abgesehen.

2018: Zehn Jahre Kanzler Faymann?

Beides ist ihm bisher geglückt. Seit seinem Amtsantritt als Bundeskanzler im Dezember 2008 hat sich das Land nur unwesentlich verändert. Und wenn Faymann bis 2018, also bis ans Ende dieser Legislaturperiode, durchhält, wird er zehn Jahre Regierungschef gewesen sein. Unter allen SPÖ-Kanzlern waren nur Kreisky (13 Jahre) und Vranitzky (elf Jahre) länger im Amt. Klima musste nach drei Jahren gehen, Gusenbauer nach nur eineinhalb.

Machtpolitisch ist Faymann geschickter als seine unmittelbaren Vorgänger. Sozial auch. Die „Kronen Zeitung“ hält er mit Exklusivinformationen bei Laune, den einflussreichen Wiener Bürgermeister mit Exklusivrechten. Gegen Michael Häupl wird weder in der Bundesregierung noch in der Partei etwas beschlossen.

Die Gewerkschafter, die Gusenbauer nach dem Bawag-Skandal aus allen hohen Ämtern verbannt hatte, holte Faymann zurück. Und den linken SPÖ-Flügel befriedet er regelmäßig mit klassenkämpferischen Versprechen – wohl wissend, dass zum Beispiel eine Vermögensteuer mit der ÖVP nicht durchzusetzen ist. Notfalls muss eben der Koalitionspartner als Sündenbock herhalten.

Nur ein Mal ist Faymann kurz übermütig geworden: Nachdem er den europäischen Fiskalpakt unterstützt, die verteidigungspolitische Linie der SPÖ geändert (Berufsheer statt allgemeiner Wehrpflicht) und dem parlamentarischen U-Ausschuss eine Zeugenaussage verweigert hatte, verpasste ihm die Partei einen Denkzettel. Im Oktober 2012 wurde er mit nur 83 Prozent als SPÖ-Chef bestätigt. Für einen Kanzler war das ein blamables Ergebnis.

Sein Wille zur Veränderung ist seither nicht gerade größer geworden. Im Nationalratswahlkampf versuchte Faymann erst gar nicht, neue Wählerschichten anzusprechen. Unter Gusenbauer kooperierte die SPÖ noch mit dem Liberalen Forum. Faymann konzentriert sich lieber auf die sozialdemokratische Stammklientel. Hinzu kommt eine gewisse Provinzialisierung: Wo frühere Parteivorsitzende noch versucht haben, einen Hauch von Internationalität in ihre Politik einfließen zu lassen, regieren mit Faymann heute die vier Landeshauptleute der SPÖ, allen voran eben der Wiener Bürgermeister.

Die meisten Ziele erreicht

Bei der Nationalratswahl im Herbst ging Faymanns Kernwählerstrategie noch einmal auf, vielleicht zum letzten Mal. Die SPÖ blieb stimmenstärkste Partei, musste aber erneut Verluste hinnehmen. Und die Zukunftsaussichten sind düster: Wie ihre Schwesterparteien in Europa hat auch die SPÖ noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie eine moderne sozialdemokratische Bewegung anno 2014 aussehen könnte.

Das war vor 125 Jahren noch anders. In einer Prinzipienerklärung machte die SPÖ damals ihre Weltanschauung deutlich: „Die sozialdemokratische Arbeiterpartei in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechts die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung.“

Viele, wenn nicht die meisten dieser Ziele hat die SPÖ erreicht. Vielleicht ist ja auch das ein Teil ihres Problems.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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