Das "intellektuelle Sturmgeschütz" der Sozialdemokratie

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Die "Arbeiter-Zeitung". Mit Adlers Privatvermögen gegründet, verboten, 1934 enteignet, 1945 wiederauferstanden, 1989 von der SPÖ verkauft.

Wien. 1889 gründete Victor Adler als zentrales Parteiorgan die „Arbeiter-Zeitung“ – zunächst nur wöchentlich. Ab 1. Jänner 1895 brachte er das Blatt, für das er den größten Teil seines Vermögens opferte, als Tageszeitung heraus und machte Friedrich Austerlitz zu seinem Nachfolger als Chefredakteur.

Der neue Mann faszinierte seine Mitarbeiter. „Die Worte entströmten seinem Gehirn mit der gleichen Geschwindigkeit, mit der die Feder über das Papier glitt. Sie hinterließ in feinen Linien winzige Hieroglyphen, die niemand außer ihm und zwei Setzern zu entziffern vermochte“, wird berichtet. Er war aber auch sehr hochfahrend und liebte es nicht, wenn jeder Parteiangehörige ihn als „Genosse“ ansprach. „Ihr Genosse bin ich noch lange nicht. Für Sie bin ich Herr Austerlitz. Wer mein Genosse ist, möchte ich selbst entscheiden!“ (Peter Pelinka, Manfred Scheuch, 100 Jahre AZ, 1989).

Im Gegensatz zur „Neuen Freien Presse“ war die „AZ“ bettelarm. Wenn ein Redakteur einen Vorschuss erbat, riet ihm Adler: „Borgen Sie sich das Geld aus, ich werde für Sie bürgen . . .“ Der Parteiführer hatte viele Bekannte im Großbürgertum, die ihm auch beträchtliche Summen liehen – solange es nicht öffentlich bekannt wurde. Etwa die Baronin Amelie von Langenau, eine Generalswitwe. Sie sammelte arme Kinder von der Straße auf, bewirtete sie in ihrem Palast – und bekam dadurch Ärger mit der Polizei. Victor Adler half, den „Skandal“ beizulegen, dafür revanchierte sich die Adelige in ihrem Testament. Aber in den Parteigremien hatte er Mühe, die Anonymität der edlen Spenderin aufrechtzuerhalten.

Die Druckerei war in der Universitätsstraße angesiedelt, die Redaktion befand sich um die Jahrhundertwende in einem Kellerlokal in der Schwarzspanierstraße. Wenn ein Redakteur zum Kassier kam, um einen Vorschuss von fünf Gulden auf sein Gehalt zu erbitten, musste er mit einem Gulden zufrieden sein. Vor der Tür warteten schon die Ehefrauen, um den bescheidenen Betrag in Empfang zu nehmen, berichtete Adelheid Popp in ihren „Blättern der Erinnerung“.

Victor Adler konnte viel, sehr viel – aber da vermochte auch er nicht zu helfen: „Was soll ich tun, die Redakteure der ,Arbeiter-Zeitung‘ sind unsere Offiziere. Offiziere zahlt der Staat vor allem mit Ehre ...“ Im Juli 1910 konnte sich die Partei endlich ein großzügiges Redaktions-, Verlags- und Druckereihaus bauen, und zwar an der Wienstraße 98a, heute Rechte Wienzeile. Es diente auch als Parteizentrale bis 1934. Drei Tage nach der Übersiedlung hat Austerlitz dennoch zu meckern: „Die Gegend ist schrecklich: kein Wirtshaus, kein Kaffeehaus, aber wenn man aus der Wienstraße in die ,intellektuelle Burg‘ tritt, fühlt man sich wie verzaubert.“

1934 war all dies dahin. Aufgelöst, verboten, enteignet. Erst am 5. August 1945 erschien wieder eine „AZ“. 1989 verkaufte die SPÖ die finanzschwache Zeitung, was deren Überleben aber nur unwesentlich verlängerte: Am 31. Oktober 1991 muss die AZ das Erscheinen einstellen. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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