Von Pfründen und Gagen war noch keine Rede

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An der Wiege der 125 Jahre alten SPÖ stand 1888/89 ein charismatischer Armenarzt aus Favoriten. Ein Intellektueller und aus bürgerlichen Verhältnissen stammend – die Parallele zu Bruno Kreisky ist verblüffend.

Wien. Eine politische Bewegung ist nur so stark wie ihre Führungsfiguren. Dieser Tatsache werden sich heute, Samstag, die Funktionäre bei ihrer Gedenkfeier in Hainfeld schmerzlich bewusst werden. Der Wiener Armenarzt Victor Adler (1852–1918) hingegen muss eine charismatische Persönlichkeit gewesen sein. 1886 schon gründete der geborene Prager in Wien mit dem väterlichen Erbe die Wochenzeitung „Gleichheit“, in der er in einer Reihe sensationeller Texte das Elend der Wienerberger Ziegelarbeiter schilderte – er ordinierte dort gratis. Der „Ringstraßenbaron“ Drasche war ihr „Arbeitgeber“. 1895 schafften die von ihm derart Ausgebeuteten dort erstmals einen Streik.

Reisen nach Deutschland, in die Schweiz und nach England brachten Adler bald in Kontakt zu Friedrich Engels, August Bebel und Karl Liebknecht. Eine enge Freundschaft entwickelte sich. In der Donaumonarchie freilich setzte es für Adlers „Agitation“ zwischen 1887 und 1900 17 Anklagen vor Gericht und insgesamt neun Monate Arrest.

Die Parallelen zum legendären SPÖ-Chef der Siebzigerjahre, Bruno Kreisky, verblüffen. Auch Adler hatte als Intellektueller und wegen seiner bürgerlichen Herkunft in der Arbeiterschaft mit Vorbehalten zu kämpfen. Dennoch gelang es gerade Victor Adler, die Richtungskämpfe der frühen Arbeiterorganisationen zu überwinden. Der Durchbruch gelang ihm 1885 bei einer Versammlung gegen die von Ministerpräsident Eduard Taaffe geplanten „Sozialistengesetze“, an der zum ersten Mal alle Strömungen der aufkeimenden Arbeiterbewegung teilnahmen. Es war zutiefst österreichisch: Denn gerade Taaffe wollte Gutes und Fortschritt – etwa eine obligate Kranken- und Altersversicherung.

Eine Zauberformel

Durch Adlers ausgleichendes Wirken kam es zu einer Resolution, die „Radikale“ und „Gemäßigte“ akzeptierten. Seine Formel, der Kampf der Arbeiterklasse sei „mit allen zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewusstsein des Volkes entsprechenden Mitteln“ zu führen, überbrückte die Gegensätze erfolgreich. Denn er war von den Fraktionskämpfen der noch unausgegorenen Bewegung unbelastet.

So wagte Victor Adler für den 30. Dezember 1888 die Einberufung eines „Parteitags“ in einem kleinen Wirtshaus im niederösterreichischen Hainfeld. In Wien wäre solches unmöglich gewesen, aber der niederösterreichische Statthalter genehmigte es. 110 Delegierte waren geladen – aus Wien und allen Kronländern mit Ausnahme Dalmatiens; 73 erschienen. Innerhalb von zwei Tagen – bis zum 1. Jänner 1889 gelang es Adler, die verschiedenen sozialistischen Gruppen – Gewerkvereine, Gewerkschaften und Genossenschaften, „Radikale“ und „Gemäßigte“ – zu vereinen. Zu Recht gilt er damit als Begründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, SDAP. Man verabschiedete eine vom Parteigründer und dem Ideologen Karl Kautsky verfasste „Prinzipien-Erklärung“. Diese richtete sich gegen den kapitalistischen Besitz an Produktionsmitteln und gegen die Monarchie als „Klassenstaat“, der nur die Interessen der Kapitalisten vertrete:

Frauen mussten draußen bleiben

„Die SDAP in Österreich erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechtes die Beseitigung der ökonomischen Abhängigkeit, die Befreiung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung [...] Die Ursache dieses unwürdigen Zustandes ist [...] in der das Wesen des ganzen Gesellschaftszustandes bedingenden und beherrschenden Thatsache, daß die Arbeitsmittel in den Händen einzelner Besitzender monopolisirt sind. Die Besitzer der Arbeitskraft, die Arbeiterklasse, wird dadurch zum Sklaven der Besitzer der Arbeitsmittel, der Kapitalistenklasse, deren politische und ökonomische Herrschaft im heutigen Staate Ausdruck findet. Der Einzelbesitz an Produktionsmitteln [...] bedeutet ökonomisch steigende Massenarmuth und wachsende Verelendung immer breiterer Volksschichten.“

Von wegen „ohne Unterschied des Geschlechtes“: Der einzigen weiblichen Delegierten, Anna Altmann Böhmen, blieb die Teilnahme am Parteitag verweigert. Sie erinnerte sich später: „Im Jahre 1888 wurde der Parteitag nach Hainfeld einberufen, und auch die Polzentaler Genossen wurden davon in Kenntnis gesetzt, mit der Aufforderung, zu delegieren. Ich wurde als Delegierte gewählt und erstattete nach Wien die Meldung. Die Wiener Genossen schrieben damals, dass sie einen männlichen Delegierten wünschen, die Frauen wären noch nicht so weit ...“ Ihr Platz blieb unbesetzt, da der für sie nachnominierte Mann aus Angst vor behördlichen Schikanen, Verhaftung und Ausweisung es nicht wagte, das Mandat anzunehmen.

Die geeinte Sozialdemokratie nach Hainfeld verstand sich als „marxistische“ Partei, wobei die Theorie von Karl Marx entsprechend den spezifischen Verhältnissen des Landes adaptiert werden sollte. Aber was bedeutete für den Mediziner und ersten Parteivorsitzenden Victor Adler Marxismus? Das sollte sich bald herausstellen. Und es führte zu neuerlichen Flügelkämpfen mit den radikalen Kräften.

Mit Freundlichkeit zum Erfolg

Denn Adler trat nicht für Revolution und Gewalt ein, er bevorzugte gemäßigtes Vorgehen, um die Sache der Arbeiter nicht zu gefährden. Seine Gegner verspotteten ihn zwar, aber er wusste es besser. Sein größtes Anliegen, das allgemeine Wahlrecht für Männer, erreichte er nicht durch Drohungen, sondern mithilfe geschickter Arrangements mit den Mächtigen.

Nach den ersten freien Wahlen 1907 zogen die Sozialdemokraten mit 87 Mandaten als stärkste Partei in den Reichsrat ein. Adler bemühte sich zwar um die Einheit der Sozialdemokraten im Kaiserreich, konnte aber die Abspaltung der tschechischen Sozialisten 1911 nicht verhindern. Auf der II. Sozialistischen Internationale, dem Basler Kongress, setzte er sich für eine einheitliche Friedenspolitik der Sozialdemokratie in Europa ein. Vergebens, wie man weiß.

Moderater Vater der Partei

Die Politik der SDAP wurde von 1889 bis in den Ersten Weltkrieg wesentlich vom Parteigründer mit seiner betont reformistischen Haltung bestimmt und geprägt. Er führte den Kampf gegen die imperialistische österreichische Balkanpolitik mit einiger Zurückhaltung. Dies führte zur Kritik Otto Bauers, der in großdeutschem Wunschdenken die Verknüpfung des deutschen Volkes mit dem „verwesenden Leichnam der Habsburgermonarchie“ ablehnte. Just im heikelsten Moment beim Zusammenbruch der Monarchie 1918 und dem Übergang zur Republik erlag der große alte Mann der Sozialdemokratie seiner Herzschwäche.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2014)

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