Das bloße Überleben im Terror

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Regisseur Steve McQueen zählt mit »12 Years A Slave« zu den Oscar- Favoriten. Das Buch zum Film über die Sklaverei schätzt er als eine Art »Tagebuch der Anne Frank« für die USA ein.

Solomon Northup, der in den Nordstaaten der USA ein freier Mann war, wird entführt und ist per Schiff auf dem Weg in den Süden, in die Sklaverei. Wie sind Sie zu diesem Thema und dem Buch gekommen?

Steve McQueen: Ich fand, dass kein Film bisher diesem Thema gerecht wurde, eine Impression dieser Zeit vermittelte. Ich dachte an einen freien Mann, der gekidnappt und in den Süden geschleppt wurde. Ich habe um das Verfassen solch einer Geschichte gerungen. Meine Frau fragte mich, warum ich nicht einen Originalbericht nehme. Sie hat „12 Years A Slave“ (1853) gefunden. Die Lektüre des Buches war eine Offenbarung für mich. Für mich ist es wie das „Tagebuch der Anne Frank“ für Amerika. Es geht um das Überleben unter einem Regime des Terrors.

Warum wurde das Buch damals vergessen?

Eine Theorie besagt, dass Erzählungen von Sklaven nach dem US-Bürgerkrieg nicht mehr populär waren. Harriet Beecher-Stowes Roman „Onkel Toms Hütte“ (1852) hat sie alle überstrahlt. Ich bin sehr stolz darauf, dass „12 Years A Slave“ nun unter den Top Ten der „New York Times“-Bestsellerliste rangiert. Das Buch ist detailreich. Wir haben für die Authentizität zudem noch Experten befragt. Die Rituale, die Sprache, all diese Details waren mir sehr wichtig.

Auf der Reise in die Gefangenschaft sagt Solomon ganz zu Beginn des Films, dass er nicht nur überleben, sondern leben möchte.

Er reagiert so darauf, dass ihm jemand sagt, er müsse schweigen, um zu überleben. Solomon akzeptiert das Schicksal der Sklaverei nicht. Er wehrt sich.

Im Film wird sehr drastisch Schmerz gezeigt. Waren die Aufnahmen für die Beteiligten deshalb emotional schwierig?

Wir sind da ganz professionell, wir wollen einfach eine Geschichte erzählen. Auch bei Shakespeare gibt es Grausamkeiten. Wir haben aber etwas porträtiert, das tatsächlich stattfand.

Die Brutalität wird sehr realistisch gezeigt. Ist diese Authentizität ein Schlüssel zum Verständnis dieses Unrechtssystems?

Ich will zeigen, was 400 Jahre lang geschehen ist. Es geht nicht nur um physische Brutalität, sondern vor allem um psychische.

Solomon wird nur befreit, weil er zuvor einem Weißen vertraut. Wie steht es um dieses Vertrauen heute in den USA? Werden die Zeiten besser oder schlechter?

Es geht in diesem Fall nicht um schwarz oder weiß, sondern darum, ob man das Richtige tut. Wenn man all jenen Medaillen geben würde, die das Richtige tun, würden uns die Medaillen bald ausgehen. Solomon musste die Sklaverei zwölf Jahre lang ertragen, aber für viele war dieses Schicksal ein lebenslanges. Der Film wendet sich auch nicht an ein weißes oder schwarzes Publikum. Ich hoffe, dass sie alle die Sklaverei als Unrecht sehen.

Schmeichelt Ihnen, dass Sie mit Ihrem Film für den Oscar gehandelt werden?

Es ist großartig, eine positive Reaktion zu bekommen, denn wir haben wirklich hart gearbeitet.

Ist man nun am Anfang oder schon inmitten einer neuen Diskussion über die Sklaverei?

Ich bin schon glücklich, dass darüber diskutiert wird, aber wo wir uns dabei befinden, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass wir Fortschritte machen. Vielleicht hatte auch Barack Obamas Wahl zum Präsidenten Einfluss darauf, dass dieses Thema wieder diskutiert wird.

Auch die Hollywood-Filme „The Butler“ und „Lincoln“ haben sich im Vorjahr mit der Sklaverei beschäftigt. Reflektieren diese historischen Stoffe unsere gegenwärtige Gesellschaft und speziell die der USA?

Das sind sehr unterschiedliche Geschichten. Die anderen Filme streifen das Thema nur am Rande. Ich weiß nicht, wo wir heute stehen, aber wichtig ist es doch, dass eine Debatte entfacht wird. Sie kann nur heilsam sein. Man sieht die Wurzeln von Problemen. Oft gibt es dafür eine direkte Linie von 1853 zu 2013. Im besten Fall kann man den Menschen sogar helfen, wenn man ihre Probleme erkannt hat.

Sie haben erneut mit Michael Fassbender gearbeitet. Was bedeutet er für Sie?

Sehr viel. Wir sind durch „Hunger“ zusammengekommen, haben dann „Shame“ gemacht. Er ist ein meisterhafter Darsteller, der uns alle an seiner Kunst teilnehmen lässt. Er bleibt nicht auf Distanz. Er inspiriert mich. Das gilt auch für meinen Kameramann Sean Bobbitt und für Joe Walker, der den Schnitt macht. Das ist meine Band. Wir kommen manchmal zusammen und machen sozusagen ein Album.

Werden Sie auch wieder kurze Filme drehen, wie jene für die Kunstszene?

Natürlich. Was ich jetzt gemacht habe, ist vergleichbar mit dem Schreiben von Romanen, die kurzen Formen für die Kunstwelt sind abstrakter, wie Lyrik.

Der Süden hat eine fast mythische Landschaft. Wie bringen Sie diese Schönheit und Grausamkeit der Handlung zusammen?

Der Süden der USA ist schön und auch verwunschen. Aber ich mache keinen Horrorfilm, sondern ein historisches Drama. Deshalb bitte ich auch Sean Bobbitt nicht, für Gewaltszenen eine dunkle Linse auf die Kamera zu geben, denn ich filtere das Leben nicht. Das ist seine Perversität: Die schlimmsten Sachen passieren oft an schönen Orten.

„Die Presse“ wurde von Tobis-Film zu einem Gruppen-Interview mit dem Regisseur in Berlin eingeladen.

Steckbrief

1969
Steve McQueen wird in London geboren. Er absolviert sein Studium an der Tisch School of the Arts in New York City.

1999
Turner Prize für Video-Installationen. McQueen vertritt sein Land 2009 bei der Biennale in Venedig.

2008
„Hunger“, McQueens erster Spielfilm, gewinnt zahlreiche Preise, u. a. Caméra d'or in Cannes. Auch „Shame“ (2011) wird mehrfach prämiert.

2013/14
„12 Years A Slave“ ist für die Golden Globes (Verleihung an diesem Sonntag) in mehreren Kategorien nominiert. Der Film wird auch für den Oscar favorisiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2014)

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