Wondratschek: "Das Leben in allen Schattierungen"

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Er gilt seinen Fans als Rockpoet und liebt Boxen, München und St. Pauli. Der deutsche Schriftsteller Wolf Wondratschek über Aufträge des "Playboy", seinen schlechten Ruf und den Grund, warum er am Ende nach Wien floh.

Es gab mit Ihnen vor ein paar Jahren ein Interview in der „Süddeutschen“, das war hinreißend. Ich glaube, das kriegen wir nicht so gut hin.

Wolf Wondratschek: Wir erfinden jetzt irgendwas. Wir haben ja keine Hausaufgaben zu machen.

Wir könnten über den „Playboy“ reden. Warum haben früher vermeintliche Boulevardblätter mit Ihnen zusammengearbeitet? Und warum gibt es die „Playboy“-Grundidee, mit tollen Texten und Nackten zu arbeiten, nicht mehr?

Es ist erst fünf Jahre her, da hat mich der neue „Playboy“-Chefredakteur kontaktiert, ob ich ihn treffen möchte. Ich habe gesagt, ja, aber glauben Sie nicht, dass ich zum Formel-1-Rennen nach Monaco gehe und über die Boxenluder schreibe. Ich habe ihm einen Vorschlag gemacht. Solche Dinge entstehen bei mir ganz spontan, wie wenn man jemanden austestet. Tun wir ja alle, unentwegt. Also hab ich gesagt – und ich wusste, das ist das größte Fettnäpfchen für den „Playboy“: Drucken Sie Gedichte von mir ab. Ich wollte einfach sehen, ob der sich gleich verschluckt. Ich sagte, ich schreibe einen Zyklus mit zwölf Gedichten, für jeden Monat eins. Das hat er gemacht, aber nur, weil ich ihm keine Chance gelassen habe. Die Gedichte, das war „Tabori in Fuschl“. Danach wollte er auch keine Reportage mehr.

Wie Sie sie früher oft geschrieben hatten.

Der „Stern“ zum Beispiel rief mich eines Freitags an und fragte: „Wolf, willst du nach Wimbledon fliegen?“ Steffi Graf war zum ersten Mal im Finale, gegen die Navrátilová. Wenn die was Besonderes wollten, sind sie zu mir oder meinesgleichen gegangen. Bei mir hat natürlich mein schlechter Ruf beigetragen, den ich übrigens nie verstanden habe. Die sogenannten Bad Boys waren immer interessanter. Es genügt zum Beispiel, dass du ein bisschen mehr Sexappeal hast als ein Karasek (Mitglied des Literarischen Quartetts, Anm.), und schon hast du einen schlechten Ruf.


Apropos, Sie sind ja von Reich-Ranicki sehr gelobt worden. Wie ist das so?

Mein erstes Buch kam 1969 bei Hanser raus, „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“. Ich hatte von nichts eine Ahnung, hatte was geschrieben, und das wurde gedruckt. Kurz danach erschien eine ganze Seite mit einem Riesenfoto von mir in der „Zeit“, da war Reich-Ranicki noch dort: „Ein Autor, den wir uns merken müssen.“ Auf Deutsch gesagt: He put me on the map. Dann hörte ich von ihm nichts mehr, und es hat mich auch nicht interessiert. Und dann habe ich, stoned oder was ich da war, einmal einen Brief geschrieben: „Lieber Herr Reich-Ranicki, mir fällt gerade ein, dass Sie vor 15 Jahren einmal geschrieben haben, ,ein Autor, den man im Auge behalten muss‘. Kommen Sie mal Ihrer Pflicht nach.“ Darauf krieg ich einen Brief von Reich-Ranicki. So war er nämlich. „Junger Mann, ich habe Sie sehr wohl im Auge, und ich werde mich zu Ihren Gedichten äußern.“ Das waren die Gedichte, die bei Zweitausendeins rauskamen, also nicht im Buchhandel, das war ja Underground...

Wollten Sie nie etwa zu Suhrkamp?

Nein. Ich wohnte sogar mal um die Ecke. Ich wollte eigentlich zu gar keinem Verlag. Wenn ich erlöst würde von allen Übeln, Verlagen und Kritikern... Mein Wunsch war immer, dass ich einen reichen Mäzen finde, der sagt: „Wondratschek, Ihr Schreiben hat was. Es ist immer anders, es ist nie langweilig. Sie sind ein ganz sonderbarer, interessanter Mann, und ich möchte Ihre Werke sammeln.“ Wir hätten uns einigen können: Er zahlt mir im Monat eine bestimmte Summe, mit der ich friedlich, nicht luxuriös, auskommen kann, und dafür gehört alles ihm. Unter der Bedingung, er darf nicht publizieren. Ich hätte gern ein Leben geführt, in dem ich gar nicht publiziert, sondern nur geschrieben hätte.

Und das Publikum? Die Leser?

Unwichtig. Das wäre nach meinem Tod oder nach dem des Mäzens erschienen. Übrigens ein Gedanke von Flaubert, dass ein Gesamtwerk auf einen Schlag erscheint, wenn der Autor tot ist.

Das heißt, Sie sind völlig uneitel?

Was das betrifft, schon. Ich übe diesen Beruf nicht aus, um berühmt zu werden, weil das alles Dinge sind, die einen stören. Und in meinem Fall zu grotesken Missverständnissen führen.

Zum Beispiel?

Macho. Als ich meinen Freunden in St.Pauli, wo mein Wohnzimmer war – und dort oben gibts wirklich Machos –, als ich denen erzählte, dass ich in meiner Branche als Macho gelte, kriegten sie sich nicht mehr ein.

Wie sind Sie eigentlich in Wien gelandet – nachdem Sie etwa in Hamburg, London, New York gelebt haben?

Ich hab nie in New York gelebt. Der „Playboy“ hat mir vier Monate gezahlt. Das waren Deals. Ich wollte gern drei, vier Reportagen übers Boxen machen. Nicht über Boxkämpfe, sondern woher die Boxer kommen, aus welchen Familien, und über die kleinen und die großen Schieber und die Mafia.

Auch für den Roman über den Rotlichtkönig Walter Staudinger waren Sie in Amerika.

Das kam so: Morgens um drei läutet das Telefon, ich hatte schon geschlafen, dumm wie man ist, nimmt man ab. Würd ich heute nicht mehr tun. Walter Staudinger war dran, ich wusste, eine Legende. Er saß in einem Nachtlokal auf der Maximilianstraße: „Kommen Sie vorbei, ich möchte mit Ihnen reden!“ Er wollte wissen, was es kostet, wenn ich sein Leben aufschreibe. Seine Tochter war gerade geboren, er glaubte, er würde nicht mehr lange leben, und wollte ihr ein Dokument hinterlassen, „in dem mein Leben ohne Wenn und Aber geschildert ist“. Aber ich konnte mich nicht entscheiden. Dann hat sich 1988 meine Freundin, die auch die Freundin von Bernd Eichinger war, umgebracht. Die Jane Seitz, der das „Carmen“-Gedicht gewidmet ist. Das war am 4. Januar. Am 5. krieg ich einen Anruf aus Los Angeles von Staudinger. Er sagte: „Tut mir leid, ich hab gehört, was passiert ist. Kommen Sie nach Los Angeles, und wir fangen mit dem Buch an. Wie ich Sie kenne, werden Sie jetzt sonst mindestens ein Jahr saufen.“ 1992 kam das Buch raus und war sehr erfolgreich. Die Kritik hat mich zerrissen. Aber der Dramaturg der Bayrischen Oper fand es toll, er erfahre so viel. In dieses Milieu kommt keiner rein.

Und wie sind Sie nun in Wien gelandet?

Das sind so lange Geschichten...

Es war also etwas Privates, nichts Berufliches.

Na doch. Privat und beruflich trennen, das können Sie. Aber ich bin ein Dichter, wie soll ich privat und beruflich trennen? Geht nicht. Also, die Neunzigerjahre waren beschissen. Ich war abgefuckt und hab gesagt, ich muss die Stadt verlassen. Wohin? Ich hab mich für die faulste Lösung entschieden und gesagt, dann geh ich nach Wien.

Als Sanatorium quasi.

Nein. Das war auch Schubert, die Melancholie, mein böhmisches Blut. Mir hat was gefallen hier. Langsamkeit. Aber ich meine das nicht ideologisch. Gott sei Dank habt ihr nicht dieses Rat Race wie New York oder Tokio, oder dieses blöde Berlin. Ich habe extrem zurückgezogen gelebt. Ich bin nicht in die Stadt gekommen, um sie zu erobern, um an einem gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Meine erste Wohnung war in der Lustkandlgasse bei der Volksoper. Ein Dachstuhl, im gleichen Haus wie das Inkognito. Ich kenne die Kokainszene aus München sehr gut. Und ich dachte, oh mein Gott, ist das schön, clean zu sein. Das war 1996, August, es hat 35 Grad gehabt, und ich saß oben und habe die Wand angeschaut und überlegt, wann der Zeitpunkt kommt, in dem ich verrückt werde. Ich war in Sicherheit, ich war nicht in München. Aber was mach ich jetzt? Worauf läuft das hinaus, dieses Experiment mit dir selbst? Ich bin auch nicht in die innere Stadt gegangen, um einmal zu gucken, wo das Leben ist. Das Leben hatte ich in allen Versionen und Schattierungen. Besser als St. Pauli oder München in den Siebzigerjahren kann Wien nie werden. Egal. Das Erste, was ich hier schrieb, war „Das Mädchen und der Messerwerfer“, ein Zyklus von 36 Gedichten... Ich merke, dass Sie alle nie eine Zeile von mir gelesen haben.

Woran merken Sie das?

Das merke ich an dieser freundlichen Indifferenz.

Wie Sie sie am Theaterpublikum beklagen.

Ich sehe Menschen nicht ihre Lebensfreude an, ich spüre nicht ihre Energie. Ich spüre nicht ihr Bewusstsein, dass sie nur ein einziges Leben haben. Deswegen liebe ich die Oper. Als Kind habe ich in der Oper mitgespielt. Da hab ich zwei Stunden Schicksale erlebt, da gings um alles. Dann ging ich nach Hause, und da gings um nichts mehr. Um Schulaufgaben. Lächerlich.

Steckbrief

1943 wurde Wolf Wondratschek in Rudolstadt/Thüringen geboren und wuchs in Karlsruhe auf. Als Kind stand er selbst auf der Opernbühne. Er studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt.

1969 erschien „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“. Er lebte in München und Hamburg und reiste durch die USA und nach Mexiko. Gedichte, etwa aus dem Band „Chucks Zimmer“, wurden berühmt. Sein Roman „Einer von der Straße“ basiert auf dem Leben des Rotlichtkönigs Walter Staudinger.

1997 lief die Kinokomödie „Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“. Die Figur des Dichters Bodo Kriegnitz soll auf Wondratschek basieren.

Seit 1996 lebt er in Wien. 2013 erschien sein Roman „Mittwoch“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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