Syrische Sackgasse: Die Angst vor al-Qaida und ein Stellvertreterkrieg

Für Frieden in Syrien müsste der Machtkampf zwischen Saudis und dem Iran beendet werden. Und Assad weiß, dass der Westen seinen Abgang fürchtet.

Es könnte alles so einfach sein – zumindest in der Theorie: Syriens Machthaber, Bashar al-Assad, tritt als Präsident zurück und geht ins Exil. Weniger belastete Funktionäre seines Regimes bilden mit der Opposition eine Übergangsregierung und erarbeiten Grundlagen eines demokratischeren Systems, in dem die Rechte des einzelnen Bürgers respektiert werden. Nach einer Phase der Konsolidierung entscheiden Wahlen, wer in Zukunft die Geschicke Syriens leitet. Doch wie gesagt: Das ist – in diesem Fall nicht durch die graue, sondern durch die rosarote Brille gesehen – Theorie. Und das hat viele Gründe.

Assad macht derzeit keinerlei Anstalten, die Kontrolle aus der Hand zu geben. Warum sollte er auch? Drei Jahre nach Beginn des Aufstandes gegen ihn sitzt er fester im Sattel denn je. Mit iranischer Militärhilfe hat auf den Schlachtfeldern wieder die Oberhand gewonnen. Und auch an der diplomatischen Front erzielte er Siege.

Offiziell heißt es aus den USA und den wichtigsten europäischen Ländern, dass es für einen Diktator wie Assad, der den Widerstand gegen ihn in einem Blutbad ertränkte, im neuen Syrien keinen Platz mehr geben dürfe. Doch das sind Lippenbekenntnisse. Denn westliche Strategen beunruhigt eine Frage: Was genau kommt nach Assad? Was, wenn das neue Syrien zu einem Hort extremistischer Gruppen wird, die „den Westen“ und den Nachbarn Israel ganz oben auf ihrer Zielliste haben und die ihre Aktionen noch weiter in den Libanon und den Irak ausdehnen?

Mittlerweile sind in ganz Syrien Rebelleneinheiten aktiv, die nicht nur für den Sturz eines repressiven Regimes kämpfen, sondern auch für etwas, was sie für einen „islamischen Staat“ halten. In diesem Staat sollen nur ihre eigenen, bizarren Regeln gelten. Alle, die diese Regeln nicht befolgen, sowie Minderheiten wie Alawiten und Christen, hätten in diesem Gebilde keine Zukunft mehr. Ein Grund für den Aufstieg der Extremisten ist das Versagen der USA und der europäischen Staaten, schon zu Beginn der Syrien-Krise auf eine Lösung zu drängen. Es ist der Fluch der Untätigkeit, der den Dämon al-Qaida zu neuem Leben erweckt hat.

Je länger und brutaler sich der Krieg in Syrien hinzog, desto größer wurde der Einfluss jihadistischer Gruppen. Sie erfreuen sich über die größte Unterstützung aus dem Ausland, erhalten Geld und Ausrüstung aus den reichen arabischen Golfmonarchien. Das führte so weit, dass auch andere Rebellengruppen sicherheitshalber Bezüge zum Islam oder zum Jihad in ihre Kampfnamen einfügten – in der Hoffnung, damit Spenden aus dem Ausland lukrieren zu können.

Der Konflikt in Syrien ist nämlich nicht nur ein interner Konflikt: Er ist längst ein Stellvertreterkrieg zwischen den arabischen Golfmonarchien und dem Iran. Saudiarabien, Katar und die anderen Länder des Golfkooperationsrats sehen im schiitischen Iran einen gefährlichen Konkurrenten. Ihr Kalkül: Wenn Teherans Verbündeter Assad stürzt, würde das den Einfluss des Iran schwächen. Teheran versucht, das freilich mit allen Mitteln zu verhindern.

Bevor dieser regionale Machtkampf nicht gelöst ist, stehen die Chancen auf Frieden in Syrien schlecht. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon versuchte, dem nun insofern Rechnung zu tragen, als er den Iran zur Konferenz am Genfer See einlud. Die erboste Reaktion der syrischen Opposition zeigte aber sofort: Ban hat diesen Schritt miserabel vorbereitet.


Teheran und die Golfmonarchien müssten ihren Disput abseits der Syrien-Verhandlungen in eigenen (Geheim-)Gesprächen beilegen. Der Wille dazu scheint aber gering. Der Iran ist nicht bereit, seine Ambitionen in der Region zurückzuschrauben. Und die arabischen Golfstaaten sind erbost und besorgt darüber, dass die USA und Europäer in der Atomfrage erstmals wieder auf Teheran zugehen. Gerade deshalb sind sie entschlossener denn je, den Iran „einzudämmen“. Die USA scheinen derzeit außenpolitisch nicht stark genug, um beide Seiten zu einer Einigung zu bewegen.

Leidtragende dabei sind die Menschen in Syrien. Sie können nicht darauf hoffen, dass der Wahnsinn des Krieges bald beendet wird. Auch wenn alles – auf den ersten Blick – so einfach sein könnte.

E-Mails an:wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2014)

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