Analyse. Mit der Ankündigung, die Patientenakten der Rettung nach Demo-Randalierern zu rastern, stieg Gerhard Pürstl ins Fettnäpfchen.
Wien. „Das wird noch ein Nachspiel haben“, sagte Gerhard Pürstl Sonntagabend in der ORF-Sendung „Im Zentrum“. Der Chef der Wiener Polizei kündigte live im Fernsehen an, jene Personen, die während der Demonstrationen gegen den Akademikerball an Ausschreitungen beteiligt waren, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auszuforschen. Fotos, Videoaufnahmen, Beobachtungen von Beamten.
Und dann fiel ein Satz, der dem sonst so besonnenen Behördenleiter gleich mehrere Aufforderungen zum Rücktritt einbrachte: „Das ist gut, wenn sie (die Demonstranten, Anm. d. Red.) bei der Rettung waren. Dann gibt es die Daten, und dann können wir sie ausforschen.“
Was der Doktor der Rechtswissenschaften da ankündigte, schlägt hohe Wellen. Von Rasterfahndung ist da die Rede, von Umgehung des Datenschutzes. Die Grünen kündigen eine parlamentarische Anfrage an, sozialistische Jugend und Studenten, sowie die 4400 Mitglieder (Stand: Montag, 16 Uhr) einer eigens gegründeten Facebook-Gruppe fordern Pürstls Rücktritt.
„Ohne Richter gibt's nichts“
Er selbst und seine Behörde interpretierten den Plan einen Tag nach der TV-Debatte so: Dass die Wiener Rettung im Zusammenhang mit Straftaten die Identitäten von Behandelten an die Polizei weiterleiten, sei gelebte Praxis und im Rahmen der Amtshilfe üblich.
Im Fernsehen hatte das noch anders geklungen. Tatsächlich vermittelte Pürstl da den Eindruck, nach unbekannten Tätern zu suchen. Und in diesen Fällen ist die Sache für Sanitäter klar: „Ohne richterliche Anordnung gibt es von uns nichts“, heißt es etwa beim Roten Kreuz. Auch die Berufsrettung sagt, dass die Namen von Patienten nicht automatisch zur Polizei gehen. Selbst bei Straftaten nicht.
Besonders viel erfahren dürfte die Polizei aber ohnedies nicht. Während die Demo-Veranstalter von Polizeigewalt und unzähligen Verletzten berichten, ging das an den Rettungsorganisationen vorüber. Laut Gesundheitsamt, dort laufen alle Fäden zusammen, kamen drei Personen „wegen leichtester Verletzungen“ kurzfristig ins Spital. Die Zahl der ambulant betreuten Demonstranten (und Randalierer) dürfte auch überschaubar sein: „Es war nichts los, wir hatten viel zu viele Wagen dort“, sagt ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes.
Seit der Ankündigung Pürstls, die Daten der Rettung rastern zu wollen, fragen sich viele Beobachter: Warum? Der 51-Jährige gilt als erfahrener, vor allem aber rechtlich absolut sattelfester Spitzenbeamter. Nach den Skandalen unter seinem Vorgänger ließ er im bis dahin intriganten Wiener Polizeiapparat wieder Ruhe und neue Professionalität einkehren. Krisensituation, wie sie bei Einsätzen im ideologisch aufgeladenen Umfeld der Votivkirchen-Aktivisten mehrfach auftraten, begegnete er mit unerschütterlicher Sachlichkeit.
Pürstl dementiert Mitgliedschaft bei Burschenschaft
Intern wird darüber spekuliert, dass Pürstl zuletzt unter Druck stand. Während er mit der Innenministerin über Schließungen von Inspektionen verhandelte, geriet er im Rahmen des Akademikerballs von allen Seiten unter Druck. Demonstranten und Wirtschaft war die Sperrzone zu groß, Ballbesuchern das polizeiliche Einschreiten nicht forsch genug. Und Journalisten fühlten sich ausgesperrt. Gleichzeitig musste er sich schützend vor seine Mannschaft stellen.
Rechtfertigungsbedarf gab es auch an anderer Stelle. Der freiheitliche Nationalratsabgeordnete Gerhard Deimek hatte via Twitter das Gerücht gestreut, Pürstl sei als Schüler Mitglied der schlagenden Burschenschaft „Ghibellinia“ gewesen. Eine Verbindung, die Pürstl nach eigener Aussage nicht einmal kennt. Allerdings gestand er ein, als Teenager „in Verbindungen verschiedener weltanschaulicher Coleurs“ Einblick genommen und dort auch „Spähzeiten“ verbracht zu haben. Welche Verbindungen das waren, behielt Pürstl für sich.
(awe)