Strauchelnde Schwellenländer sind kein Grund für Triumphgeheul

(c) ORF
  • Drucken

Auch wenn der rasante Aufstieg von Ländern wie China vielen Europäern unheimlich vorkommt – schlussendlich profitieren auch sie davon.

Wie schnell sich die Zeiten ändern. Nicht einmal zwei Jahre ist es her, da musste Europa beim G20-Gipfel im mexikanischen Los Cabos einen seiner bittersten Momente der jüngeren Vergangenheit durchleben. Auf dem Alten Kontinent würde zu wenig gegen die Krise getan. Die Politik sei zu langsam. Die Staaten Europas sollten sich in puncto wirtschaftlicher Entscheidungen einmal etwas von den anderen abschneiden. So tönte es damals nicht nur aus den USA. Auch die Schwellenländer in Südamerika und Asien strotzten angesichts kräftig wachsender Volkswirtschaften vor Selbstbewusstsein – und hielten damit auch nicht hinter dem Berg.

Die Europäer reagierten äußert gereizt auf die ungewohnte Situation. Man brauche sich (von zum Teil ehemaligen Kolonien) keinen Nachhilfeunterricht geben lassen, hieß es. Die Hilfe der anderen nahm Europa aber trotzdem dankbar an. So stockten etwa China, Indien und Russland damals ihre Beiträge zum Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Geld, das in Griechenland, Portugal oder Irland bereits dringend benötigt wurde.


Heute sieht die globale Situation ganz anders aus. Die Probleme in den Krisenländern Europas sind zwar noch lange nicht gelöst. Und auch der wirtschaftliche Aufschwung des Kontinents will trotz aller Beschwörungen von Ökonomen und Notenbankern bisher nicht wirklich an Fahrt gewinnen. Das Gröbste scheint jedoch bereits vorbei zu sein. Auch die Finanzmärkte rechnen nicht mehr täglich mit dem Auseinanderbrechen der Währungsunion.

Diametral anders die Entwicklung in den Schwellenländern: Russland kämpft schon seit Längerem mit Wachstumsraten, die deutlich unter dem globalen Schnitt liegen – viel zu wenig für ein Land, das Aufholbedarf hat. Brasilien leidet unter zunehmender Inflation und der Angst, dass die „argentinische Grippe“ des Nachbarn übergreift. Und selbst China erleidet zurzeit die größte Wachstumsschwäche seit 35 Jahren, wie Peking vor einer Woche zerknirscht zugeben musste. Daher forderte erst vergangenes Wochenende die französische IWF-Chefin, Christine Lagarde, die Schwellenländer auf, sich nicht mehr auf ihren einst kräftigen Wachstumszahlen auszuruhen, sondern endlich Reformen anzugehen.

Es wäre also nicht überraschend, wenn sich der eine oder andere zwischen Lissabon und Helsinki nun ein Lächeln nicht verkneifen könnte. Getreu dem Motto „Ganz so toll waren sie also doch nicht“. Nicht zuletzt, da es nun auch die Türkei heftig erwischt hat, die aufgrund ihrer boomenden Wirtschaft gegenüber Europa in den vergangenen Jahren besonders selbstbewusst aufgetreten ist. Verwunderlich wäre ein bisschen Schadenfreude nun also nicht. Klug wäre sie aber ebenfalls nicht.


Ein echter Absturz der Schwellenländer würde nämlich auch die Industrienationen hart treffen. Schon 1997 sendete die damalige Asienkrise Schockwellen um den Erdball, die auch hierzulande deutlich zu spüren waren. Seither haben sich die globalen Volkswirtschaften aber noch viel stärker ineinander verzahnt. Und bei aller Angst vor der Konkurrenz asiatischer Billiglöhne für wenig qualifizierte Produktionsarbeiten – bisher profitierten beide Seiten davon: Dass T-Shirts nur mehr einen Bruchteil kosten, seitdem sie nicht mehr in Vorarlberg genäht werden, brachte nicht nur den chinesischen Arbeitern Jobs, sondern auch den heimischen Kunden mehr Geld für andere Ausgaben. Und die chinesische Nachfrage nach deutschen Luxusautos sicherte während der Krise tausende Jobs bei den Herstellern und ihren österreichischen Zulieferern.

Auch in Europa sollte man also hoffen, dass die Schwellenländer ihre oft sehr unterschiedlichen Probleme wieder in den Griff bekommen. Und dass die Investoren in den Finanzzentren von London oder Frankfurt sich nicht im Herdentrieb zu einer Panikreaktion hinreißen lassen, die zu einer Übertreibung der berechtigten Sorgen führt – so wie das einst in der Eurokrise geschehen ist. Denn ein wirklicher Crash in den (größeren) Schwellenländern würde die gesamte Welt wieder in den Herbst des Jahres 2008 zurückwerfen.

E-Mails an:jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Die Schwellenländer schwächeln

Brasilien, Russland, Indien, China: Die Hoffnungsträger der Weltwirtschaft sind in der Krise. Investoren fliehen, Kurse und Währungen purzeln. Schuld daran sind auch die Notenbanken im Westen.
International

Türkei: „Zinsputsch“ gegen die Regierung Erdoğan

Die türkische Zentralbank verdoppelte gegen den Willen von Premier Erdoğan die Leitzinsen, um die Talfahrt der Lira zu stoppen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.