Syrien: In der Hölle von al-Maisad

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Syriens Regime soll zehntausende Gefangene systematisch gefoltert haben. Mohammad Jabri war einer von ihnen. Er hat die Tortur überlebt.

Es ist alles noch viel schlimmer“, sagt Mohammad Jabri. „Die Opfer auf den Fotos sind als Märtyrer ins Paradies eingegangen. Tausende befinden sich aber noch lebend in der Hölle. Ich weiß, welche schrecklichen Leiden sie erdulden müssen.“ Der 25-Jährige saß 67 Tage im berüchtigten Foltergefängnis des syrischen politischen Geheimdienstes im Stadtteil al-Maisad von Damaskus.

Nur mit viel Glück hat er die inhumanen Verhältnisse und die wochenlange Folter überlebt. Mit „Fotos“ meint Jabri die Bilder, die weltweit Entsetzen hervorriefen. Sie zeigen mit Blut befleckte Leichen, deren Oberkörper mit tiefen, roten Striemen übersät sind, und Strangulierungsmerkmale am Hals aufweisen. Insgesamt sind es 55.000 Fotos von 11.000 Opfern, die das syrische Regime auf dem Gewissen haben soll. Ein Deserteur will das Material aus Syrien geschmuggelt haben. Es wurde von einer Untersuchungskommission auf ihre Echtheit überprüft. Ihr Vorsitzender, Sir Desmond de Silva, ehemaliger Chefankläger am Spezialgerichtshof für Sierra Leone, behauptete: „Wir sind überzeugt, dass diese Dokumente echt sind und vor jedem Gericht standhalten.“ Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Materials, das Syrien der systematischen Folter und Ermordung von Gefangenen bezichtigt, waren jedoch Zweifel an seiner Authentizität aufgekommen.

Die Londoner Anwaltskanzlei Carter-Ruck und Co., bei der die Dokumente als erstes gelandet waren und die die Untersuchung initiierte, wurde von Katar dafür bezahlt. Das Emirat vom Golf ist, neben Saudiarabien und Kuwait, einer der wichtigsten Financiers der syrischen Opposition. Zu den Klienten von Carter-Ruck und Co. sollen der türkische Premierminister Tayyip Erdoğan, die Islamische Hilsforganisation (IHH) sowie einige konservative Islamgeistliche aus den Golfstaaten gehören. Sie alle sind Fürsprecher der syrischen Rebellen. „Man kann sagen, was man will“, ruft Jabri aufgebracht. „Die Fotos sind echt und können im Gefängnis von al-Maisad aufgenommen worden sein, in dem ich war.“

Der 25-jährige Kommunikationsingenieur war im November 2012 an der syrisch-libanesischen Grenze verhaftet worden. Ein Freund hatte ihn unter Folter des syrischen Geheimdienstes als Oppositionellen verraten. Schon bei seiner ersten Verhaftung nach einer Demonstration 2011 hatte Jabri Bekanntschaft mit der Brutalität des Regimes gemacht. Gleich zu Anfang, bei der Überstellung ins Gefängnis, packte man jeden Häftling bei den Haaren und schlug die Köpfe gegen die Metallleisten ihrer Sitze. „Wir haben Terroristen gefangen“, soll ein Polizist ins Mikrofon seiner Kamera gerufen haben, mit der er alles filmte. „Sie zeichnen alles auf“, erklärt Jabri, „damit sie einen Beweis für ihre Vorgesetzten haben, etwas gegen uns Terroristen getan zu haben.“ Nach ein paar Tagen und einigen Prügeln war er damals frei gekommen. Was aber nach seiner erneuten Verhaftung an der Grenze passierte, kann Jabri nie mehr vergessen.

„Wir waren 35 Leute in einer neun Quadratmeter großen Zelle“, berichtet der Ex-Häftling. „Zum Schlafen musste man sich abwechseln. Acht legten sich neben den Eingang, fünf neben die Toilette, was der unangenehmste Platz war.“ Urin und Kot sei ausgelaufen, und wer Verletzungen von der Folter hatte, holte sich schwere Wundinfektionen. An die Zellenwand hatte einer der früheren Gefangenen geschrieben: „Wir sind nicht gestorben, aber wir haben gesehen, wer hier gestorben ist.“ – „Als ich das gelesen habe“, sagt Jabri, und man sieht einen Moment Tränen in seinen Augen, „dachte ich wirklich, hier werde ich sterben.“

Aufgeregt zeichnet Jabri einen Plan seiner ehemaligen Zelle und des gesamten Traktes auf ein Blatt Papier. „Ich werde bei diesen Erinnerungen viel zu nervös,“ sagt er, zeichnet hektisch Strich für Strich. „Hier ist meine Zelle, dahinten 18 weitere und winzige Einzelzellen, in denen Ratten das Essen und dich selbst anknabbern.“ Dann zeichnet er einen Durchgang und sagt: „Hier ist der Metallrahmen, an dem bis zu fünf Häftlinge mit Handschellen an den Armen aufgehängt wurden.“ Jabri hängt dort mit verbundenen Augen einmal zwölf Stunden, dann 16 Stunden, einmal zwei Tage und noch einmal fünf Tage lang. „Man wird ständig mit einem Kabel oder Stock geprügelt.“ Einmal sei er mit dem Stock vergewaltigt worden, den habe man ihm dann in den Mund gesteckt. „Na, schmeckt's?“, soll der Offizier gefragt haben. Wenn Jabri nicht am Metallbalken hängen musste, bekam er Elektroschocks am Hinterkopf und an den Genitalien. Dabei habe man ihn geschlagen. „Alte oder schwache Personen konnten das nicht aushalten“, meint Jabri. Irgendwann seien ihre Schreie verstummt und sie wohl gestorben.

Jabri musste sein Vernehmungsprotokoll mit verbundenen Augen unterschreiben. „Das war bei allen so. Niemand wusste, was die Beamten da reingeschrieben haben.“ Wie durch ein Wunder bekam er nach zwei Monaten Horror seine Freiheit wieder. Jabri war Teil der 2250 Häftlinge, die das Regime von Präsident Bashar al-Assad im Austausch von 48 Iranern freiließ, die syrische Rebellen gekidnappt hatten. Heute arbeitet Jabri für das syrische Revolutionsradio Hawa Smart in der türkischen Grenzstadt Gaziantep.

Fakten

Bericht. Drei international bekannte Juristen haben für die Londoner Anwaltskanzlei Carter-Ruck and Co. zehntausende Fotos untersucht, um die systematische Folter von Inhaftierten in syrischen Gefängnissen in einem Bericht darzulegen. Schätzungen gehen von 11.000 Toten aus.

Fotos. Ein Ex-Fotograf der Militärpolizei hat 55.000 Aufnahmen gemacht und sie der Opposition zur Verfügung gestellt, bevor er aus Syrien floh. Die fotografierten Leichen zeigen Spuren von schwerer Folter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2014)

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