„Late Night Jump“: Das Warten auf den späten Absprung

OLYMPIA - Olympische Spiele 2014, Vorberichte
OLYMPIA - Olympische Spiele 2014, Vorberichte(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Mario Kneisl)
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Thomas Morgenstern gibt auf der Normalschanze sein Comeback nach dem Kulm-Sturz. „Es geht mir gut, ich brauche den Wettkampf.“

Krasnaja Poljana. So ein Gedränge gab es um Österreichs Skispringer noch bei keinen Olympischen Spielen. Zehn Kamerateams, Journalisten aus Deutschland, der Schweiz und sogar aus den Niederlanden sind am Freitag ins Österreich-Haus geströmt, um mitzuerleben, wie Thomas Morgenstern bei der Präsentation des Vier-Mann-Kaders für das Springen von der Normalschanze am Sonntag reagieren wird. Während also Reporter am Boden sitzen mussten und sich auch dort noch um die besten Plätze drängten, saß Morgenstern gut gelaunt neben Gregor Schlierenzauer, Michael Hayböck und Thomas Diethart auf dem Podest, er strahlte sogar. „Griaß euch, es geht mir gut!“

Für Beobachter und Ärzte grenzt sein Auftritt beinahe an ein Wunder. Am 10. Jänner ist er beim Skifliegen auf dem Kulm schwer gestürzt. Morgenstern erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Lungenquetschung, der Kärntner wurde auf der Intensivstation des UKH Salzburg behandelt und die Skisprungwelt erlebte bange Stunden. Doch er steckte auch den zweiten schweren Sturz in dieser Saison (nach Titisee-Neustadt im Dezember) nahezu mühelos weg. Die Ärzte gaben schnell grünes Licht, es gab weder körperliche noch psychische Probleme. Also nahm Morgenstern flott die Regeneration in Angriff, und den Neuanfang begleitete sein Heimtrainer Heinz Kuttin. Mit ihm tastete er sich heran, schaffte in der Vorwoche in Oberstdorf erste Sprünge und meldete sich sofort bei Cheftrainer Alexander Pointner. Der hielt Wort, und Morgenstern wurde für Olympia nominiert.

Traum von den Spielen

Nun saß er also da und stand Rede und Antwort. Schon beim ersten Training war nicht Hayböck trotz Bestweiten bedrängt worden, sondern ausschließlich Morgenstern. Seine Geschichte interessiert, sie bewegt, vor allem, weil er es geschafft hat, „den Traum von Olympia doch noch zu schaffen“, sagt er stolz. Dass sich alles im Leben relativiert, wenn man solche Rückschläge und Schreckensmomente zu verdauen hat, ist klar. Das bestätigt der Skispringer auch, beteuert aber, noch immer keine Angst zu haben. Respekt springe immer mit, aber Angst, nein, sicher nicht.

Morgenstern wirkte so wie immer, munter, zu Späßen bereit. Doch er dürfte auch viel nachgedacht haben, über Einsatz, Risiko und Verlangen. Er sagt, dass Regeneration weiterhin im Vordergrund stehe, er wolle sich Schritt für Schritt wieder herantasten. Von Resultaten und Weiten sprach der Kärntner, den sie im Team oft als „Rennpferd“ bezeichnet hatten, kein einziges Mal. „Ich bin einfach nur stolz und unheimlich dankbar, dass ich hier sein darf. Ich will dieses Flair aufsaugen, Olympia erleben.“ Was herausschaut – er könnte drittes Gold in Serie mit der Mannschaft gewinnen – sei offen. Den wichtigsten Sieg in seinem Leben hat er schon gefeiert. Er hat den Sturz auf dem Kulm überlebt.

Schnaps für Schlierenzauer

Ganz andere Sorgen plagen Gregor Schlierenzauer. Der Tiroler wirkte zuletzt unsicher in seinen Sprüngen, er schien auf der Suche nach der optimalen Abstimmung. Skispringen ist ein filigraner Sport, Nuancen entscheiden und wenn der Athlet uneins ist mit seinem Tun, sind Siege nahezu ausgeschlossen. Er erklärte, für Olympia bereit zu sein, auch mit dem „Late Night Jump“ – der Bewerb auf der im Weltcup verschwundenen Normalschanze beginnt am Sonntag um 21.30 Uhr (18.30 Uhr MESZ) – habe er keinerlei Probleme. Dafür sei er Routinier genug, sagte er und musste sofort den Raum verlassen. Es wirkte wie ein Kreislaufkollaps, Schlierenzauer aber meinte, „etwas Schlechtes gegessen zu haben“. Er wollte Kamillentee trinken, ein Betreuer aber gab ihm einen tüchtigen Schluck Schnaps. Die Belastungen waren zuletzt auch für ihn enorm. Um 1.30 Uhr war das Training vorbei, er schlief nur zwei Stunden und um „halb acht waren Dopingkontrollore bei mir. Verrückt, aber so ist Olympia.“

Hayböck und Tourneesieger Diethart wirkten vor der Olympiapremiere entspannt. Sie wollen sich im ersten Bewerb behaupten und damit den Platz im Teambewerb absichern. Mit der Zuschauerrolle Vorlieb nehmen muss Andreas Kofler, er dürfte Olympia als Ersatzmann erleben. (dat)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2014)

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