Unmündige Taschendiebe: "Wohngruppen statt U-Haft"

Wiener Jugendrichterin fordert rasche Umsetzung von Alternativ-Modellen zur U-Haft. Die Vorschläge wurden bereits von einer Expertengruppe erarbeitet.

Nachdem bekannt geworden ist, dass in Wien zwei möglicherweise noch minderjährige Taschendiebe über zwei Wochen in U-Haft genommen wurden - der Bursch wurde am vergangenen Freitag als im Zweifel noch Strafunmündiger freigesprochen, das Mädchen steht am kommenden Freitag vor Gericht -, hat sich am Montag die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig zu Wort gemeldet.

Matschnig pochte im Hinblick auf diese Fälle im Gespräch mit der APA auf die rasche Umsetzung von Alternativ-Modellen zur Haft für Jugendliche, die eine unter Ex-Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) eingesetzte Expertengruppe unter dem Schlagwort "Taskforce Jugendhaft" im Vorjahr erarbeitet hat. Die Jugendrichterin verlangte "Wohngruppen statt U-Haft, wobei es nötig wäre, dass man diese Wohnungen auch abschließen kann". Dies deshalb, um die Betroffenen am Davonlaufen zu hindern und sie gezielt betreuen zu können, was im Gefängnis infolge nicht vorhandener personellen Kapazitäten kaum bzw. nicht möglich ist.

"Diese Kinder sind Opfer"

Speziell die womöglich noch unmündigen Taschendiebe, die derzeit Gegenstand medialer Berichterstattung sind, wären nach Ansicht Matschnigs in solchen Wohngruppen gut aufgehoben: "Diese Kinder sind Opfer. Sie gehören konkret einer Bande von 100 Kindern an, die gezielt zum Stehlen ausgebildet und von ihren Hintermännern durch ganz Europa geschickt werden. Sie werden in totaler Abhängigkeit gehalten, müssen ihre Beute abliefern."

Sobald diese in der Regel aus Südosteuropa stammenden Kinder 14 und damit strafunmündig sind, werden sie von der Straße abgezogen. "Man schickt sie dann zurück in die Heimat und weist ihnen dort jüngere Kinder zu, die sie dann zum Stehlen ausbilden", so Matschnig.

"An Hintermänner rankommen"

Dass die Strafverfolgungsbehörden ihr primäres Augenmerk auf die kindlichen Täter richten, hält die Jugendrichterin für nicht ausreichend: "Man müsste sich einmal die Mühe machen, die so lange zu beobachten, bis man an die Hintermänner herankommt." Insofern ist es für Matschnig unverständlich, dass der am vergangenen Freitag enthaftete Bub von der Polizei zwar der "Drehscheibe" übergeben, aber offenbar nicht weiter observiert wurde. Der Bursch tauchte sogleich unter und dürfte sich - die Vermutung liegt zumindest nahe - wieder im Umfeld seiner Bande befinden.

(APA)

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