Wien gegen Berlin, das ist Brutalität

Conrad Felixmüller: Porträt Raoul Hausmann, um 1920
Conrad Felixmüller: Porträt Raoul Hausmann, um 1920(c) Lindenau Museum Altenburg / (c) Bildrecht, Wien, 2014, Belvedere
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Erstmals werden die künstlerischen Verbindungen zwischen Wien und Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts in einer Ausstellung gezeigt. Ein unterhaltsamer, erst einmal verwirrender Parcours, der viele Klischees bestätigt.

Ein bisschen verloren, wie ohne Plan mitten in eine fremde Großstadt geworfen – so fühlt man sich anfangs in der neuen Ausstellung im Unteren Belvedere. Immerhin werden hier auch zwei europäische Hauptstädte zu einem einzigen großen Bildergeflecht verwoben: „Wien–Berlin“, diese kulturelle Hybride kann einen ganz schön aus der Bahn werfen.

Erstmals hat das Belvedere gemeinsam mit der Berlinischen Galerie – wo die Ausstellung mit 130.000 Besuchern gerade für einen Publikumsrekord gesorgt hat – die künstlerischen Querverbindungen dieser zwei traditionell konkurrierenden Pole im deutschsprachigen Raum aufzuarbeiten versucht. Vor allem in Literatur- und Theaterwissenschaften wurde dieses Thema bereits hinlänglich behandelt. In der bildenden Kunst aber konzentrierte man sich bei Städtevergleichen bisher eher auf Paris oder Moskau. Eine Ausstellung, die Kunst der Moderne aus diesen beiden Städten, also von 1900 bis in die 1930er-Jahre, zusammenbrachte, gab's noch nie, sind die Kuratoren (Belvedere: Alexander Klee) stolz.

Durch die Waldmüller'sche Brille

Im Endeffekt werden die Klischees, die man über die beiden Kunstszenen hat, allerdings eher bestätigt, auch wenn man die Mühe merkt, diese zu hinterfragen. So kramten die Kuratoren etwa einen zu seiner Zeit 300 Mal gezeigten Diavortrag aus dem Österreichischen Volkshochschularchiv hervor, der beweisen soll, dass nicht nur die Berliner Künstler die soziale Situation hart darstellten, sondern auch die Wiener die Waldmüller'sche Brille ablegen konnten. Ein Journalist und ein Hobbyfotograf warfen sich 1904 ins „Elendskostüm“ und zogen mit der Kamera durch den Untergrund. Die „Wärmestube in der Burghardtgasse“, in der gebeugte Männer sich über die Tische lehnen, hätte das Vorbild für Jens Birkholms trist brauntönige „Wärmehalle in Berllin“, 1908, sein können. Die Wiener Maler aber scheint diese investigative Aufdeckerarbeit weniger beeindruckt zu haben, Ferdinand Andri interessierte an „Butterbäuerinnen“ 1902 eher ihre stolze schwarze Tracht. Der „Pülcher“ von Josef Engelhart wirkt überhaupt noch wie das Porträt eines Nestroy-Schauspielers, aber das war auch 20 Jahre früher. Sonst ist der spätere Secessionist ein gutes Beispiel für den Kontakt Wien/Berlin, er wurde 1900 vom deutschen Maler Max Liebermann zum auswärtigen Mitglied der Berliner Secession ernannt. Orientierte man sich dort eher an Paris, schwelgten die Wiener Secessionisten in ornamentalen Allmachtsfantasien. In dieser Wiener Hochzeit setzt die Ausstellung an. Warum man gerade eine Bibliotheksleiter von Josef Hoffmann zeigt und nicht etwa ein Stück von Adolf Loos, der sich viel stärker nach Berlin wandte, geht vielleicht aus dem Audioguide hervor. Ist zumindest zu hoffen. Mit schriftlichen Informationen gerade zu den biografischen Berlin/Wien-Connections vieler Künstler, deren Leben man nicht immer so abrufbar hat wie das Oskar Kokoschkas, der in der Berliner Expressionisten-Zeitschrift „Der Sturm“ veröffentlichte, wird gegeizt. So entgehen einem doch leicht die Facetten vieler ausgestellter Mittlerfiguren wie etwa des gebürtigen Pragers und Wiener Secessionisten Emil Orlik, der in Berlin später Lehrer vom Neuen Sachlichen Georges Grosz und der Dadaistin Hannah Höch wurde.

Die Damen bitte dekorativ!

Deren politische Collagen kannte wohl die österreichische Bauhaus-Schülerin Friedl Dicker-Brandeis, die 1930 in Wien solche zu schneiden begann. Der in Wels geborene Neue Sachliche Helmut Ploberger übersiedelte 1927 nach Berlin. Der Berliner Neue Sachliche Christian Schad lebte 1925–1928 in Wien. Hier entstanden einige Hauptwerke, die er aber doch erst in Berlin verkaufen konnte. Dessen entwickelterer Kunstmarkt war gerade nach dem Ersten Weltkrieg ein Anziehungspunkt für die Wiener. Gerade bei den eindrucksvollen Porträts der Neuen Sachlichkeit, ein Höhepunkt der Ausstellung, drängt sich die Doppelgleisigkeit des Frauenbilds auf: In Berlin sind die Damen doch eindeutig selbstbewusster dargestellt, mit Tschick in der Hand, kurzen Haaren, an öffentlichen Orten; die lesbische, 1937 nach Schweden emigrierte Malerin Lotte Laserstein ist da eine große Entdeckung. Während in Wien Damen tendenziell doch dekorativ, verträumt oder schlicht nackt zu sein hatten. Vor der Leinwand sah das natürlich anders aus – die Gruppe der Wiener Kinetistinnen behauptet ihren verdienten Platz.

Der Kontest der beiden Städte ist jedenfalls ziemlich unterhaltsam und erhellend. Hat man sich erst einmal orientiert, etwa durchschaut, dass alle Berliner Künstler typografisch mit einer anderen Wandschrift (Peter Behrens) bedacht wurden als die Wiener (einer historischen Schriftart von Kolo Moser). Beim Rückweg durch die Ausstellungsräume kann man dann beginnen, sich zurechtzufinden im dichten Gewurl der Klischees, ihrer Bestätigungen, einiger Überraschungen und vieler ziemlich guter Bilder.

Unteres Belvedere,
Bis 15.Juni. Tägl. 10–18Uhr, Mi 10–21Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2014)

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