Italien: "Hochseilakt" der Regierung Renzi

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Der neue Premier Matteo Renzi zieht mit einer sehr jungen Ministerriege in die politische Schlacht. Der Kampf um eine Mehrheit im Parlament wird schwierig.

Rom. Mit der Vereidigung und der ersten Ministerratssitzung hat am Wochenende Italiens neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen. Dem 16-köpfigen Kabinett gehören unter der Führung von Matteo Renzi, Chef der sozialdemokratischen Partei (PD), erstmals in Italiens Geschichte gleich viele Frauen wie Männer an. Als weitere – fürs Erste – herausragende Eigenschaften der neuen Ministerrunde heben Kommentatoren deren Jugend hervor, deren Unerfahrenheit und die Tatsache, dass Renzi (39) bei der Postenbesetzung gegen allen Druck seinen Kopf durchgesetzt habe. „Der Akrobat steht auf dem Hochseil, allein und ohne Netz“, schreibt die „Repubblica“: „Scheitert er, dann bleiben uns nur noch die Clowns verschiedener populistischer Prägung.“

Verglichen mit der Regierung des gleichfalls sozialdemokratischen Premiers Enrico Letta, den Renzi in einer parteiinternen Revolte gestürzt hat, umfasst das neue Kabinett fünf Ministerposten weniger. Auffällig ist das Wegfallen eines Europaministeriums – drei Monate vor der Wahl zum Europaparlament und fünf Monate, bevor Italien turnusgemäß die halbjährige EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Gestrichen wurden außerdem das Gleichstellungsministerium sowie das Ministerium für Integration. Mit Letzterem verliert auch Cécile Kyenge, die erste dunkelhäutige Ministerin in Rom, ihr Amt. Ohne Vorwarnung abgelöst wurde auch die weltweit angesehene Außenministerin Emma Bonino (65). An ihre Stelle rückt die außenpolitische Fachfrau des PD, Federica Mogherini (40), die aber weder internationale Verbindungen noch Erfahrung in der Leitung einer Ministeriumsmaschinerie besitzt.

Eine „Regierung der Hoffnung“

Ihre Posten behalten nur die drei Minister aus den Reihen der „Neuen rechten Mitte“, in der sich um Ex-Vizepremier Angelino Alfano frühere Parteigänger Silvio Berlusconis versammelt haben. Ohne Alfanos Leute fände Renzi keine Mehrheit im Parlament. Er fühle „alle Verantwortung, dem Land eine Regierung der Hoffnung zu geben“, sagte Renzi bei der Vorstellung seines Teams.

Erst nach der Vereidigung in Rom eingetroffen ist der neue Finanzminister Pier Carlo Padoan (64). Den Chef-Volkswirt der OECD, früheren Berater von EZB, EU-Kommission und Italien-Beauftragten des Internationalen Währungsfonds erreichte der überraschende Ruf bei einer Tagung in Sydney. Parteiungebunden, aber mit einer früheren Nähe zum linken Spektrum, gilt er nun als international vorzeigbarer, für Italiens Solidität und Reformwillen bürgender Technokrat – und hilft trotz offenkundiger Aktivität von EZB-Chef Mario Draghi hinter den Personalkulissen dem neuen Premier den Eindruck zu vermeiden, er werde von Brüssel oder Frankfurt aus überwacht oder gar ferngesteuert.

Stützte sich die Regierung Letta seit der Parlamentswahl im Februar 2013 im Wesentlichen auf drei Parteien, so ist deren Zahl durch die landesüblichen Spaltungen und Zersplitterungen mittlerweile angewachsen: Renzi muss die Interessen von heute neun Parteien ausbalancieren, ohne dass sich die Zahl seiner Abgeordneten erhöht hätte. Im Gegenteil: Nicht alle Bündnispartner, nicht einmal der mit Abwanderung drohende linke Flügel seiner eigenen Partei, sind mit der neuen Konstellation einverstanden. Aus den Reihen der Opposition twittert Silvio Berlusconi bereits hämisch, Renzi werde keine Mehrheit im Parlament finden. Wie auch immer: Knapp wird es in jedem Fall.

Aufregung um Interessenkonflikt

Mit einer Ministerin hat Renzi bereits Probleme bekommen. Federica Guidi (44), Ressortchefin für Wirtschaftliche Entwicklung, also Industrie und Bewältigung der Wirtschaftskrise, steht an der Spitze eines Familienunternehmens (Ducati Energia), das zahlreiche Staats- und staatsnahe Unternehmen mit elektrischen Apparaturen beliefert. Zwar hat Guidi bereits am Tag der kurzfristigen Ernennung zur Ministerin formal sämtliche Aufgaben in ihrer Firma niedergelegt; die Vorwürfe, es bestehe ein Interessenkonflikt zwischen privaten Geschäften und öffentlichem Amt, bleiben jedoch bestehen. Guidi galt bisher als Anhängerin Berlusconis. In ihrem Ministeramt wäre sie auch für Medien zuständig, damit natürlich für den größten privaten Fernsehkonzern des Landes: Berlusconis Mediaset. In Renzis Partei ist man auch von diesem zweiten Interessenkonflikt nicht gerade erbaut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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