Bellevue als Bunker für Wulffs letzte Tage

Mit dem Doku-Drama „Der Rücktritt“ gelingt Sat1 ein Treffer.

Am Anfang ist die Welt noch heil. First Lady Bettina Wulff (Anja Kling) posiert im Abendkleid, mit dem sie die Scheichs bezaubern will. Doch ein Sandkorn knirscht im präsidialen Getriebe: „Bild“-Journalisten wollen etwas über einen Privatkredit wissen. Christian Wulff (Kai Wiesinger) ist ungehalten: „Was geht die das an?“ Das Verhängnis nimmt seinen Lauf: Die Medien wittern fette Beute. Die Schlinge zieht sich immer enger. Wulff reagiert wie ein verwundetes Tier, überstürzt und ungeschickt. Bellevue wird zum Bunker der letzten Tage. Der Bundespräsident muss zurücktreten, als gebrochener Mann, der Amt, Ehre und Eheglück verloren hat.

Ein Filmstoff, ohne Zweifel. Und hier ist es: das Doku-Drama „Der Rücktritt“. Sat1 strahlte es am Dienstagabend aus, ideal getimt zwei Tage vor der Urteilsverkündung. Schon mit „Der Minister“, der Satire über Guttenberg, hatte der Privatsender einen Coup gelandet. Doch statt flott und fröhlich zu überzeichnen, bleibt „Der Rücktritt“ so authentisch wie möglich. Das gibt einen spannenden, ja beklemmenden Film. Kühl und nüchtern zeichnet Regisseur und Autor Thomas Schadt die Fakten nach, unterbrochen von Originalsequenzen aus News, Interviews, Talkshows. Auch in den inszenierten Szenen, mit vortrefflichen Akteuren, ist viel Text belegbar. Die intimen Dialoge der Eheleute basieren sichtlich auf Bettinas Autobiografie.


Sorgsam ist Schadt darauf bedacht, neutral zu bleiben. Er wirbt um Mitleid mit dem Präsidenten. Aber vom Vorwurf, Wulff habe sich zu leichtfertig von mächtigen Gönnern einladen lassen, spricht der Film ihn nicht frei. Immer wieder schwenkt die Kamera in Redaktionsstuben. „Spiegel“-Autor Jan Fleischhauer hat bei diesen Szenen mitgewirkt. Er zeichnet kein sympathisches Bild vom Jagdtrieb seiner Zunft, denunziert ihre Arbeit aber auch nicht als „Medienhetze“.

Freilich: Bei diesem Drahtseilakt bleiben Emotionen auf der Strecke. Wo sie doch bemüht werden, wirkt es gekünstelt – etwa wenn Pressesprecher Glaeseker (sieht aus, als spielte er sich selbst, es ist aber: Holger Kunkel) nach seinem Rauswurf eine einsame Träne vergießt. Doch die beklemmende Stimmung, sie stimmt. Der Charakter und die Schwäche Wulffs, die medialen Mechanismen: Alles läuft auf ein Fatum hinaus, so unausweichlich wie in der griechischen Tragödie.

E-Mails an:karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2014)

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