Nie wieder Krieg! So malt man das ...

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Von den Geköpften und Gehenkten des Goya bis zur trauernden Mutter der Käthe Kollwitz: Künstler dokumentieren die Schrecken des Krieges – und wenn sie dafür vier Tage lang Rinderknochen putzen müssen.

Der Auftrag war klar. General José de Palafox y Melci hatte Goya im August 1808 nach Saragossa beordert, damit der schon betagte Maler den Kampf der Spanier gegen die französischen Besatzer dokumentiere. Als mutige Helden sollten sie in die Geschichte eingehen. Als ruhmreiche Kämpfer gegen Napoleon.

Aus dem Gemälde wurde nichts. Aber als Goya drei Monate später wieder zurück nach Madrid kam, begann er mit Skizzen und Radierungen. Auf ihnen hielt er fest, was er in Saragossa und auf seinem Weg über die Dörfer gesehen hatte, und das waren keine edlen Kämpfe, keine hehren Schlachten, und all die hohen Begriffe klangen plötzlich schal: Goyas Blatt mit dem Titel „Heldentat“ zeigt zwei an einen Baum gebundene Leichen, beide sind nackt, der einen wurde der Kopf abgehackt. Der ist neben dem herabhängenden Körper, zu dem er einst gehörte, auf einen Ast gespießt. Das waren die Gräuel des Krieges, „Los Desastres de la Guerra“.


82 geheime Blätter. Ein unglaubliches Werk! Das der General freilich nie zu Gesicht bekam – und auch sonst lange niemand. Francisco de Goya hielt die 82 Blätter geheim, nicht nur, weil sie drastischer waren als alles, was man kannte, sondern auch, weil Goya keinen Unterschied machte: Er zeigte die Vergewaltigungen der Franzosen ebenso wie die Folter der Spanier, ihm ging es nicht um Parteinahme, nicht um Patriotismus. Veröffentlicht wurden die Blätter erst 35 Jahre nach seinem Tod.

Die Darstellung von Schlachten und Kriegen ist menschheitsgeschichtlich relativ jung. Der Mensch malte über Zehntausende von Jahren Mammuts und Wisente, er gestaltete Figürchen wie die Venus von Willendorf und verzierte die Höhlen mit Jagdszenen, ehe er begann, Schlachten zu malen. Und noch ein paar tausend Jahre dauerte es, ehe diese Schlachtenszenen nicht mehr der Propaganda dienten, der Feier des siegreichen Herrschers.

Der Ursprung der Antikriegsmalerei ist wohl im Dreißigjährigen Krieg zu orten, der die Grausamkeiten noch in die abgelegensten Winkel brachte: Grimmelshausen ließ damals seinen Simplicissimus davon erzählen. Jacques Callot gab zwei Serien mit Radierungen heraus, die „Les petites misères de la guerre“ und „Les grandes misère de la guerre“, die später Goya zum Vorbild dienen sollten. Callot zeigte das Elend der Bevölkerung – aber auch das Los der Soldaten. Am bekanntesten ist heute noch sein Galgenbaum: Dutzende Gehenkte baumeln da.

Ob es ein Zufall ist, dass sich Künstler den Gräueln des Krieges so oft mit den Mitteln der Grafik nähern? Liegt es am Schwarz-Weiß der Radierungen? Daran, dass die Maler auf Verbreitung hofften und dafür die Druckgrafik die besten Voraussetzung bot? Hängt es damit zusammen, dass der Grafik immer etwas „Rohes“ zu eigen ist? Oder griffen die Maler zur Radierung, weil sie für Zyklen wie geschaffen ist und es nun einmal das eine, das einzige Kriegsbild nicht gibt?

Otto Dix, der sich wie viele seiner Künstlerkollegen freiwillig gemeldet hatte, und dessen Begeisterung die ersten Einsätze nicht überdauerte, widmete dem Ersten Weltkrieg ein gewaltiges Triptychon – doch eindrücklicher sind allemal die Radierungen: Die Skizzen dazu zeichnete Dix zum Teil noch im Schützengraben. 50 Blätter sind so entstanden. Dix zeichnete das schmerzverzerrte Gesicht eines Verwundeten. Er porträtierte namenlose Gasopfer. Und er widmete ein eigenes Blatt einem verendenden Pferd.


Unschuldige Kreatur. Das Pferd, das ist die unschuldige Kreatur. Sie ist ohne Arg. Als solche steht sie auch im Mittelpunkt von Picassos „Guernica“, dem Antikriegsbild schlechthin. Das Tier nimmt das Zentrum des fast acht Meter breiten Gemäldes ein, in seinem Leib klafft eine Wunde, wie von einer Lanze geschlagen. Über seinem Kopf: eine Glühbirne. Der moderne heilige Geist. Picasso malte das Bild als spanischen Beitrag für die Weltausstellung 1937 in Paris. Ursprünglich wollte er einen Maler und sein Modell zeigen, aber nach dem Angriff der deutschen Legion Condor auf die spanische Stadt Gernika plante er um. Auch er setzte auf Grautöne.

Die Gehenkten, die Toten, der Schützengraben also. Einen anderen Weg wählte Käthe Kollwitz. Sie war eine politische Malerin, die das berühmte Plakat mit dem Titel „Nie wieder Krieg“ entwarf, sich für die Sozialdemokratie einsetzte und stets betonte, dass ihre Kunst einen „Zweck“ haben soll. Bei einer Plastik von 1937 aber stand nicht der Zweck im Vordergrund, sondern der eigene Schmerz. Es war eine Pietà.

Die Pietà ist das wohl berührendste Motiv der christliche Ikonografie: Denn hier ist Christus nicht Gott, und all die Wunder, die er wirkte, sind in diesem Moment vergessen: Hier ist er der Sohn, das tote Kind, das von seiner Mutter beweint wird. Käthe Kollwitz hatte im Ersten Weltkrieg ihren Sohn verloren, er fiel in Flandern. Jahrzehnte arbeitete sie mit Unterbrechungen an der 40 Zentimeter großen Plastik, 1937 war sie fertig: ein Mahnmal. Denn Christus hat sich geopfert, um die Menschen zu erlösen. Das Opfer des Soldaten dagegen war sinnlos. „Meine Mutter bleibt im Sinnen darüber, dass ihr Sohn nicht angenommen wurde von den Menschen“, schrieb Kollwitz. 1942 fiel ihr ältester Enkel, kurz vor Kriegsende starb Kollwitz in Moritzburg.

Sind Frauen weniger drastisch? Nein. Marina Abramović putzte 1997 vier Tage lang Rinderknochen: „Balkan Baroque“ hieß ihre Performance bei der Berlinale von Venedig, die sich auch olfaktorisch einprägte. Dazu erzählte die Künstlerin die Geschichte von der Rattenvernichtung: Man sperrt die Tiere ein, hungert sie aus bis sie einander auffressen und der Ratte, die überlebt, sticht man die Augen aus und lässt sie frei...

Wie betitelte Goya eines seiner Blätter? „Schreien hilft nicht“.

Die Kriege

Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) brachte Gewalt und Elend noch in die entlegensten Landstriche. Jacques Callot publizierte darüber zwei Serien.

1808
. In Saragossa lehnten sich die Spanier gegen die Franzosen auf. Goya machte sich auf den Weg in die aufständische Stadt und hielt die Gräuel, die er sah, in Radierungen fest.

Der Erste Weltkrieg. Otto Dix, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Franz Marc meldeten sich freiwillig zum Kriegsdienst. Doch die Kriegsbegeisterung hielt nicht lange an. Jene Maler, die heimkehrten, hielten das Erlebte in beklemmenden Zeichnungen fest.

Der Zweite Weltkrieg. Picasso malte seine „Guernica“ 1937, im gleichen Jahr schuf Käthe Kollwitz ihre „Pietà“. Vergebliche Warnungen vor dem, was kommen sollte.

Krieg auf dem Balkan. Die ethnischen Säuberungen und blutigen Konflikte in ihrer Heimat thematisierte Marina Abramović 1997 auf der Biennale in Venedig: Sie putzte Rinderknochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2014)

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