Japan auf dem Weg zur Normalität

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Zuerst das Erdbeben, dann der Tsunami und schließlich der nukleare GAU: Drei Jahre nach der Katastrophe ist der Immobilienmarkt Japans auf dem langsamen Weg der Besserung.

Ishinomaki. Fast drei Jahre nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe im Nordosten Japans haben sich die Gebiete ganz unterschiedlich erholt. In einigen Orten gehen die Grundstückpreise in die Höhe, anderswo können sie nicht einmal ermittelt werden. Das liegt nicht nur am Wiederaufbau. Manche Gegenden sind so unbeliebt, dass kein Markt mehr vorhanden ist.

In Ishinomaki scheint am Morgen die Sonne. Möwen schreien an der Küste, eine leichte Brise weht über das Land. Es ist ein normaler Tag, so normal, wie er in diesen Zeiten noch sein kann. „Es ist schon komisch, das alles zu beobachten“, sagt Kazuhiro Kanda.

„Damals dachte man, alles geht den Bach runter. Und heute sieht die Welt ganz anders aus.“ Kanda, ein Bürokaufmann, der seinen wahren Namen nicht in der Zeitung sehen will, lebt in einer Notunterkunft. Wenn er kann, kommt er nach Ishinomaki, um zu sehen, wie sich seine Heimat macht. „Es tut sich ja etwas“, sagt er und seufzt. Hier und da entstehen neue Gebäude, Geschäfte öffnen.

Vor drei Jahren gehörte die Stadt mit 160.000 Einwohnern zu den am schwersten beschädigten ganz Japans. Am Nachmittag des 11. März 2011 bebte zuerst die Erde mit der extrem seltenen Stärke von 9,0, dann brachen teilweise mehr als 20 Meter hohe Tsunamiwellen über die Ostküste herein. Sie überschwemmten etliche Orte, vernichteten viele davon ganz, rissen rund 20.000 Menschen in den Tod. Weiter südlich zerstörten sie auch das an der Küste gelegene Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. In drei Reaktoren folgten Kernschmelzen, gut 300.000 Menschen mussten evakuiert werden. Die Hälfte von ihnen konnte noch immer nicht zurücksiedeln.

Eine Art Boomtown

Aber zumindest Teile von Ishinomaki scheinen sich wieder in die richtige Richtung zu bewegen. Bestimmte Gebiete der Stadt verzeichneten zwischen 2012 und 2013 die höchsten Zuwächse der Quadratmeterpreise in ganz Japan. Ein Anstieg von bilderbuchartigen 60 Prozent. Im vergangenen Jahr folgte eine weitere steile Zunahme von 23,5 Prozent. Auch wenn die Preise nur bei einem Bruchteil von jenen in Tokio liegen: Für Immobilienanalysten machen solche Wachstumsraten Gebiete zu einer Art Boomtown.

Solche Gegenden gibt es nicht nur in Ishinomaki. In der 16.000-EinwohnerStadt Otsuchi etwa wurde zuletzt ein nur leicht geringeres Wachstum verzeichnet. Anderswo sieht es ähnlich aus. Allerdings ist kaum irgendwo, bis auf die Millionenmetropole Sendai, in die seit dem Tsunami noch mehr Menschen aus den ländlichen Gebieten strömen, eine flächendeckende Preiszunahme zu beobachten.

„Ich mache mir Sorgen“, sagt Kazuhiro Kanda, „dass ich bald in einer völlig wertlosen Gegend lebe. Ich hoffe noch auf Zuschüsse.“ Wie 50.000 andere Gebäude wurde das Zuhause des 52-Jährigen unbewohnbar. „Mein Haus war in Küstennähe, fast auf Meeresniveau.“

Akira Saitou sitzt in einem Büro in Tokio und verzieht das Gesicht, wenn er auf die Küstenstreifen angesprochen wird. „Das sind die klassischen Gebiete, in denen nun niemand mehr wohnen will. Die Preise dort können wir teilweise gar nicht mehr ermitteln, weil keine Marktaktivität stattfindet.“ Saitou, der für das Japan Real Estate Institute den Immobilienmarkt analysiert, arbeitet erst seit Kurzem in der japanischen Hauptstadt. Vorher war er jahrelang in Sendai stationiert und für die Region Tohoku verantwortlich. „Die Preisentwicklungen der letzten drei Jahren sind ganz unterschiedlich.“

Generell sei zu beobachten: Je weiter ein Standort von der Küste entfernt ist, desto positiver haben sich die Preise entwickelt. Die Ausnahmen bilden Orte wie Ishinomaki oder Otsuchi, deren Gebiete deutliche Steigungen aufweisen. Jene Gegenden in Ishinomaki, wo die Grundstücke boomen, liegen etwa in einer Höhe von 242 Metern über dem Meeresspiegel.

30 Kilometer Sperrzone

„Noch mehr als in anderen Regionen Japans sind die Menschen aus Tohoku traditionell heimatverbunden“, sagt Akira Saitou. „Wenn es irgendwie geht, wollen sie also zurück in die Heimat ziehen.“ Das mache die Gegenden, die auch vor Tsunamiwellen sicher sind, noch deutlich beliebter.

In anderen Regionen gilt diese Faustregel nicht. Vor allem die kritischen Gebiete der Präfektur Fukushima, aus denen vor drei Jahren durch die radioaktive Strahlung vom kollabierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi alle Menschen im Radius von 30 Kilometern abgesiedelt werden mussten, zeigen keine positive Preisentwicklung. „Niemand kauft hier, und das wird auch noch lange so bleiben“, sagt Akira Saitou.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)

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