Peres: "Macht ist eine Illusion"

ISRAEL AUSTRIA PRESIDENT FISCHER
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Israels Staatsoberhaupt Schimon Peres (90) erklärt, warum Herrscher meist »Idioten« sind, Heinz Fischer sein Freund ist, seine Beziehung zu Kreisky kompliziert und Arafat oft kindisch war.

Herr Präsident, Sie sind 90 Jahre alt, hatten seit den 1950er-Jahren 20 Regierungsämter inne, waren dreimal israelischer Premierminister. Was ist die Essenz von Politik?

Schimon Peres: Anderen Menschen zu dienen. Wer glaubt, dass es in der Politik ums Herrschen geht, ist ein Idiot. Denn um zu herrschen, braucht man Waffen. Und wer Waffen einsetzt, auf den wird zurückgeschossen. Ich war 60 Jahre in der Regierung. Wofür habe ich die meiste Zeit aufgewendet? 50 Prozent gingen nur damit drauf, Spannungen zu glätten. Es wird dauernd gestritten: Parteien gegen Parteien, Minister gegen Minister.

Und da geht es im Endeffekt um nichts?

Aber sie streiten. Und das kostet Energie. Der Präsident hat weniger Befugnisse, aber ich kann heuer als Präsident mehr tun als früher als Premier. Warum? Seit ich Präsident bin, höre ich kaum das Wort Nein. Als ich Premier war, hörte ich kaum das Wort Ja. Wofür brauche ich Macht? Macht ist eine Illusion. Ich brauche auch nicht Medien, die untersuchen, welche Suppe ich am Morgen esse. Aber ich leugne nicht, dass ich die Unterstützung genieße. 82 Prozent Zustimmungsrate in einem Land, das so gespalten ist.

Sie sind nur noch vier Monate im Amt. Einer Ihrer letzten Staatsbesuche führt Sie am Sonntag ins kleine Österreich. Warum?

Die Größe von Ländern bemisst sich heute nicht mehr in Quadratkilometern, sondern nach der Entwicklung des Wissens. Österreich ist ein interessantes Land, ein wichtiges EU-Mitglied mit eigenen Ansichten. Und ich habe Freunde in Österreich.

Wer sind Ihre Freunde?

Der Präsident. Wir waren viele Jahre gemeinsam in der Sozialistischen Internationalen. Und Heinz Fischer war ja auch in einem Kibbuz in seiner Jugend. Er bat mich zu kommen. Ich fand das eine gute Idee. Die Geschichte ist nicht einfach. Wir sollten nie vergessen, was uns die Nazis in Österreich angetan haben. Aber man muss sich auch erinnern, dass Juden 800 Jahre in Österreich gelebt, große Künstler und Wissenschaftler hervorgebracht haben.

Israels Beziehung zu Bundeskanzler Bruno Kreisky war auch nicht immer einfach.

Kompliziert. Wir waren Freunde. Einmal fragte ich ihn: „Bruno, warum sagst du so oft etwas gegen uns?“ Und er antwortete: „Wie kann ich euch sonst helfen?“ Kreisky zeigte aber auch Mut und war uns eine große Hilfe. Österreich war unter Kreisky das einzige Land, durch das jüdische Flüchtlinge aus Russland ausreisen durften. Er war Israel nicht feindlich gesinnt. Lassen Sie mich zwei Geschichten erzählen, die sonst verloren gehen.

Bitte, erzählen Sie.

Die Sozialistische Internationale wollte PLO-Chef Jassir Arafat in den 1970er-Jahren als Mitglied aufnehmen. Präsident war damals Willy Brandt, ein charmanter Mann. Er und 13 Vizepräsidenten waren dafür, Arafat aufzunehmen. Nur einer war dagegen: ich. Die innere Führung der Sozialistischen Internationale bestand damals aus drei Personen. Kreisky galt als das Gehirn, Willy Brandt sorgte für das Charisma, Olof Palme verkörperte die junge Generation. Die drei nahmen mich zur Seite und sagten: „Du bist doch ein Demokrat, wir sind 14, und du nur einer. Du musst deine Meinung ändern.“ Ich erwiderte: „Wenn ihr mir zeigt, dass Arafat ein Sozialist und Demokrat ist, werde ich für seine Aufnahme stimmen.“ Daraufhin übten sie nicht mehr Druck auf mich aus, sondern auf Arafat. Und sie waren es auch, die Arafat überzeugten, die UN-Resolution 242 und Israel zu akzeptieren. Kreisky spielte auch eine Rolle, den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat nach Israel zu bringen. Wollen Sie eine Anekdote dazu hören?

Ja, gern.

Kreisky lud Sadat und mich zu einem Treffen in Salzburg und Wien ein. Ich war damals Oppositionsführer. In der Wiener Hofburg kamen Kreisky, Brandt, Sadat und ich zu einer Konferenz zusammen. Unsere Botschaft war nicht sehr glücklich über dieses Treffen. Als ich landete, stand für mich dieselbe Ehrengarde wie für Sadat. Dann kam der Kommandant zu mir und sagte: „Die Garde ist bereit, wo ist Ihr Auto?“ Ich sagte: „Ich habe keines, ich nehme ein Taxi.“ Daraufhin rief er Kreisky an, und der stellte mir sein Auto drei Tage lang zur Verfügung. Kreisky selbst fuhr von Zeit zu Zeit mit mir mit.

Und wie half Kreisky, Sadats berühmten Flug nach Jerusalem einzufädeln?

Sadats Botschafter war ein Gentleman namens Tahami. Kreisky überzeugte Sadat, Tahami zu mir und dem damaligen israelischen Außenminister Moshe Dayan zu schicken. Und so begann alles. Ich bin vielleicht der letzte Mann, der diese Geschichte erzählen kann.

Waren Sie später persönlich enttäuscht von Jassir Arafat?

Kann man einen Menschen durchschauen? Ohne ihn hätte der Nahost-Friedensprozess nicht begonnen, doch mit ihm konnte er nicht zu Ende gebracht werden. Arafat war ein vielschichtiger Mann, schlau und intelligent, anderseits beinahe kindisch und nicht immer rational. Er dachte, er sei ein Prophet oder ein König. Ich hatte eine intensive Beziehung zu Arafat, verhandelte Tag und Nacht mit ihm. Man durfte ihn nie in der Öffentlichkeit beleidigen. Aber unter vier Augen, mein Gott, da schrie ich ihn oft fast an. Ich versuchte ihm von drei Personen zu erzählen: Ich schenkte ihm die Autobiografie von Lee Kuan Yew, der aus dem kleinen Singapur einen erfolgreichen Staat geformt hatte. Ich erzählte ihm von Israels Staatsgründer, David Ben-Gurion. Dann sprach ich mit ihm über Abraham Lincoln und sagte: „Wer sein Volk einen will, muss manchmal einen Preis bezahlen.“ Arafat stimmte zu, aber was er dann machte, war eine andere Geschichte.

Sie haben 1994 den Friedensnobelpreis erhalten. Frieden gibt es aber noch immer nicht. War der Preis nicht verfrüht?

Ich habe den Preis nicht verliehen und auch nicht darum gebeten.

Aber Sie haben ihn angenommen.

Schauen Sie: Unter den Palästinensern gibt es heute zwei Lager. Das eine setzt immer noch auf Terror, das andere tritt für Frieden ein. Das ist eine große Veränderung. Die Autonomiebehörde ist kein Staat. Aber wir leben zusammen, wir sprechen miteinander.

Hätten Sie vor 20 Jahren gedacht, dass die Situation 2014 noch immer so verfahren ist.

Ich dachte, dass alles perfekt sein würde. Ich hatte in meinem Leben so viele Enttäuschungen.

Sind Sie noch immer Optimist?

Ich bin zu alt, um ein Pessimist zu sein. Ich bin ein besorgter Optimist. Wir haben keine andere Wahl. Wir sind in der neuen Ära nicht vom Land abhängig, sondern von der Wissenschaft.

Ist es dann nicht besonders anachronistisch, immer noch über Land zu streiten?

Wir leben mit einer alten Mentalität in einem neuen Zeitalter. Es ist schwer, sich von religiösen oder ideologischen Vorstellungen zu befreien. Im Nahen Osten leben 350 Millionen Araber. 60 Prozent davon sind jünger als 24 Jahre alt. Dutzende Millionen haben Smartphones, sind mit dem Internet verbunden. Sie haben den Arabischen Frühling geschaffen, der ein Versuch war, sich vom alten Zeitalter zu lösen, und sie waren erfolgreich: Sie haben Diktatoren gestürzt.

Waren Sie denn wirklich erfolgreich? Schauen Sie sich Ägypten an.

Sie haben sich in Ägypten und anderswo von Diktatoren befreit, aber die Wahlen verloren, denn darauf waren sie – anders als organisierte Gruppen wie die Muslimbrüder – nicht vorbereitet. Doch die Muslimbrüder verloren die Nation. Denn sie hatten keinen Plan. Ich glaube nicht, dass diese Geschichte vorbei ist. Die Zukunft liegt in den Universitäten, bei den Jungen.

Im Moment schaut es nach einer Restauration in Ägypten aus.

Ich glaube das nicht. Es gibt, mit Ausnahme Israels, keinen stabilen Ort mehr im Nahen Osten. Nach dem Osmanischen Reich zogen England und Frankreich willkürliche Grenzen, die es diesen beiden Imperien, aber nicht den Menschen erlaubten, zu koexistieren. Sie schufen künstliche Räume für verschiedene Ethnien und Religionen. Nach dem Kalten Krieg hielten immer noch Könige und Diktatoren diese Ordnung zusammen. Jetzt erleben wir das Ende des britisch-französischen Erbes.

Erwarten Sie denn, dass die Grenzen in der Region neu gezogen werden?

Sie werden ja schon neu gezogen. Die Staaten sind zerbrochen. Die Welt strukturiert sich neu. Staaten verlieren an Bedeutung. Globale Unternehmen hingegen florieren. Politik hat nicht mehr die Mittel, ein Land zu lenken. Regierungen haben Budgets, aber kein Geld. Das Geld haben Unternehmen.

Was sollten Regierungen tun. Kapitulieren?

Wir müssen ein System kreieren, das in unser Zeitalter passt. In Zukunft, glaube ich, wird es drei Regierungsebenen geben. Die nationalen Regierungen werden bleiben, aber im Grunde nur noch mit internen Angelegenheiten zu tun haben. Globale Unternehmen werden führend bei Innovationen sein. Die dritte Ebene sieht so aus: Jeder regiert sich selbst. Ab dem Moment, in dem wir wissen, wie das Gehirn funktioniert, können wir rationalere Entscheidungen treffen. Wenn Menschen wählen können, ob sie glücklich oder unglücklich, fanatisch oder moderat sind, wird sich die Welt verändern.

Sie haben globale Visionen, auf der anderen Seite sind Israelis und Palästinenser nicht in der Lage, ihren Konflikt zu lösen.

Ich wünschte, der Herr würde Israel neu erschaffen. Israel ist ein kleines Land, wo die drei Hauptreligionen miteinander verbunden sind. Wo das Heilige beginnt, endet das Rationale. Menschen sind sogar bereit, ihr Leben dafür zu opfern.

Warum fördert die israelische Regierung den Ausbau von Siedlungen, obwohl sie weiß, dass dies eine Provokation für die Palästinenser und den Rest der Welt ist?

Fragen Sie lieber meine Regierung.

Aber ich will Ihre Meinung dazu hören.

Es gibt zwei Flügel in der israelischen Politik. Ich glaube, es besteht keine Alternative zur Zweistaatenlösung. Doch es gibt Menschen, die anders denken. Sie liegen falsch. Ich bin alt genug zu wissen: Politiker verändern selten die Wirklichkeit, aber die Wirklichkeit verändert Politiker.

Ich habe den Eindruck, dass sich Israel zunehmend isoliert. Boykottbewegungen gewinnen an Fahrt.

Ich sehe diese Tendenz, gleichzeitig, verhandeln wir aber. Wenn die Verhandlungen scheitern, werden wir Probleme bekommen.

US-Außenminister John Kerry hat viel Zeit aufgewendet, um Friedensverhandlungen in Gang zu bringen. Dafür erntete er Spott von israelischen Regierungspolitikern. Lassen Sie das als Präsident unkommentiert?

Das war ein Fehler. Kerry kam mit gutem Willen, und ich unterstütze ihn.

Israel ist nicht gespalten, wenn es um den Iran geht. Die internationale Gemeinschaft verhandelt derzeit in Wien mit dem Iran. Betrachten Sie die Gespräche als sinnvoll?

Die gesamte Welt will nicht, dass der Iran Atomwaffen hat. Manche wollten sofort bombardieren, andere wollten zuerst diplomatischen Druck mit Wirtschaftssanktionen ausüben. Dafür gibt es nun eine Koalition, die von den USA und der EU angeführt wird. Sie haben sich sechs Monate Zeit gegeben. Die Iraner loten nun aus, wie weit sie gehen können. Bis zum Ende der sechs Monate soll der zivile Druck aufgehalten werden. Es gibt aber noch eine andere gefährlichere Option, die über dem Iran hängt. Denn sonst würde der Iran nicht auf die Welt hören. Was im Iran selbst passiert, weiß ich nicht. Ich würde die meisten Experten nach Hause schicken. Experten sind zuständig für Dinge, die gar nicht mehr existieren, weil sich die Welt so schnell verändert. Da ist es besser, ignorant zu sein als ein Experte.

Wären Sie bereit, Irans Präsidenten Rohani zu treffen?

Oh, ja. Warum nicht? Aber er wäre nicht bereit. Wenn man Feinde im Leben hat, sollte man versuchen, sie zu Freunden zu machen. Freundschaft zu erhalten kostet kein Geld. Feindschaft aufrechtzuerhalten ist furchtbar teuer. Der Iran hat eine junge Bevölkerung, die besser ausgebildet werden muss. Es hat keinen Sinn, eine Bombe zu bauen.

Sie selbst haben in den 50er-Jahren im Auftrag Ben-Gurions federführend dazu beigetragen, dass Israel die Atombombe hat.

Niemand bedroht den Iran. Der Iran droht, uns auszulöschen. Obendrein unterstützt der Iran Terrorgruppen. Ayatollah Khamenei sagt, die Religion verbietet es dem Iran, eine Bombe zu haben. Fein, aber sie bauen Trägerraketen für Atombomben. Raketen sind nicht religiös. Wir müssen den Iran an Taten messen, nicht an Worten.

Was werden Sie ab dem 27. Juli tun, dem ersten Tag nach Jahrzehnten, in dem sie kein politisches Amt mehr innehaben?

Hier lebt man wie in einem goldenen Käfig. Ich habe genug vom Gold, ich fliege gern davon. Regierungen bewegen die Welt ohnehin nicht mehr. Ich möchte künftig im Peres-Friedenszentrum mit Unternehmen zusammenarbeiten und den Arabern helfen, das neue Zeitalter zu erreichen. Wenn Unternehmen genauso viel in Bildung und Gesundheit investiert hätten wie in IT Unterhaltung, sähe die Welt anders aus.

Aber haben Sie nicht als Präsident am Ende Ihrer Karriere den idealen Job gefunden?

Danach werde ich einen noch besseren Job haben.

zur person

Schimon Peres (* 2. August 1923 im heutigen Weißrussland) war im Auftrag von Staatsgründer David Ben-Gurion noch vor 1948 für Waffenbeschaffung zuständig. Er war dreimal Premier ('77, '84, '95), hatte insgesamt 20 Regierungsämter inne. 1994 erhielt er fürs Osloer Abkommen den Friedensnobelpreis. 2005 trat er aus der Arbeitspartei aus und schloss sich Scharons Kadima an. Seit 2007 ist er Israels Präsident.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

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