Auflösungserscheinungen in der Wiener Volkspartei

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Wien ÖVP(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die Abspaltung in Mariahilf macht deutlich, dass die Wiener ÖVP kein Mittel gegen die Erosion im bürgerlichen Lager gefunden hat.

Wien. Es sind harte Worte, mit denen sich Thomas Seidl, mittlerweile Ex-VP-Klubchef in Mariahilf, von „seiner“ Partei verabschiedet: „Ich habe die Partei nicht verlassen, weil sie ein sinkendes Schiff ist – dieses Schiff sinkt nicht, es ist schon untergegangen.“ Die Wiener VP sei nicht reformierbar, man müsse die Partei abreißen und neu aufbauen. Da das nicht passiere, sei es Zeit, zu gehen, sagt Seidl.

Ihn eingeschlossen haben sich – „Die Presse“ berichtete vorab – am Montag drei Mariahilfer VP-Bezirkspolitiker von der Partei abgespalten. Die ÖVP ist im Bezirk damit nur viertstärkste Kraft. Und bekommt bei der Wien-Wahl 2015 Konkurrenz aus dem eigenen Lager. Die neue „liberale, urbane Partei“ der Rebellen, „mariahilf-trifft-wien“ (m-t-w), wird dann auf Bezirksebene antreten. Bei weiterem Zulauf will man Wien-weit aktiv werden.

Für die ÖVP ist die Nachricht eine böse Überraschung. Manfred Juraczka schweigt zur Angelegenheit, doch wie der Mariahilfer ÖVP-Bezirksparteichef (und Juraczkas Sprecher) Gerhard Hammerer erklärte, wurde man überrumpelt. Es habe, sagte er, im Vorfeld keine Hinweise gegeben.

Auch wenn Mariahilf für die Wiener ÖVP strategisch kein allzu wichtiger Bezirk ist, ist die neue Liste für sie im Jahr vor der Wien-Wahl mehr als unangenehm. Immerhin gab es schon im März (offenbar) ernst zu nehmende Gerüchte, dass in ganz Wien einige VP-Funktionäre den Absprung planen.

Der jetzige Vorfall verschärft das Dilemma, in dem sich die Partei seit den Nationalratswahl 2013 befindet, seit nämlich die pinke Konkurrenz die bürgerlichen Hochburgen in Wien abgeräumt hat. Die Unzufriedenen in der Partei fordern seither eine „Erneuerung“, eine bürgerliche, urban-liberale Ausrichtung. Mit dieser Linie würde Parteichef Juraczka aber konservative Funktionäre und Kernwähler in den schwarzen Hochburgen abschrecken – die Döblinger Regimenter. Die Konsequenz: Ratlosigkeit. Die Partei ist in der Frage so gespalten wie ihre Wählerschaft, und Juraczka kann sich de facto nur aussuchen, mit welcher Linie er verliert. In der Vergangenheit probierte es die Wiener ÖVP auf beide Arten: Der heutige EU-Kommissar Johannes Hahn erreichte 2005 mit einer liberalen Linie 18,8 Prozent. Nur gab es damals keine Neos, und die FPÖ lag am Boden, und die Umfragewerte sanken auch bald wieder. Hahns Nachfolgerin, Christine Marek, reagierte mit einem konservativen Law-and-Order-Kurs und wurde mit nur 14 Prozent bei der Wien-Wahl 2010 abgestraft. Die Lösung sucht die ÖVP immer noch.

Schwarz wird pink?

Wobei es auch beruhigende Nachrichten für die Stadtschwarzen gibt. Erstens: Eine „Massenabwanderung“ von ÖVP-Bezirkspolitikern zu den Neos ist – trotz manchen Gesprächs – nicht zu befürchten. Die Stadt-Pinken haben sich gegen einen „fliegenden Wechsel“ von aktiven Politikern und gegen Listenplatzgarantien ausgesprochen, sprich: Jeder muss durch das Vorwahlsystem. Das ist für aktive Politiker mäßig attraktiv. Und zweitens: Im ersten Bezirk droht vonseiten Ursula Stenzels vorerst keine Abspaltungsgefahr. Denn schon länger verdichten sich die Gerüchte, dass die Partei sie 2015 nicht mehr aufstellen will. Aber auch wenn, wie ihre Sprecherin erklärt, man Stenzel von verschiedener Seite nahegelegt habe, ihre eigene Liste zu gründen, „habe ich diese Überlegung noch nicht angestellt“, sagt Stenzel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2014)

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