Gastkommentar

Brüssel will teilen und herrschen

EU-Mercosur. Durch einen undemokratischen Winkelzug will die EU ihr Handelsabkommen mit Südamerika durchboxen.

Gewisse Dinge gehören zum Erwachsenwerden dazu. Zum Beispiel lernen wir, dass man einen Vertrag immer komplett durchlesen sollte, bevor man ihn unterschreibt. Alle Teile können Tücken beinhalten, und auch das Kleingedruckte ist wichtig. Niemand würde einen Kaufvertrag für ein Haus mit Garten unterschreiben, wenn Letzterer dort entgegen der Vereinbarung gar nicht aufscheint – und die Maklerin mit den Worten „das regeln wir später” vertröstet. Doch genau das will die EU gerade in der Handelspolitik tun.

Bis zum Ende des Jahres will die EU-Kommission das Handelsabkommen der EU mit dem südamerikanischen Mercosur-Raum (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) abschließen. Gearbeitet wird an dem Pakt seit 1999, er ist entsprechend rückschrittlich: Im Kern geht es um den Tausch von Autos, Chemikalien und Maschinen aus Europa gegen Fleisch und andere Agrarprodukte aus den südamerikanischen Ländern. Allesamt klimaschädliche Produkte, die vermehrt gehandelt werden sollen, wenn es nach Kommissionspräsidentin von der Leyen und Co. geht. Deren Produktion und weite Transportwege werden unser Klima zusätzlich belasten.

Zudem nützt das Abkommen vor allem großen Konzernen und setzt kleine Produzenten vermehrt unter Druck. Wenig überraschend, dass das Abkommen seit Jahren starker Kritik aus der Zivilgesellschaft auf beiden Seiten des Atlantik ausgesetzt ist. In Österreich hat der Nationalrat die Regierung vor genau vier Jahren zu einem Nein zum Abkommen verpflichtet. Darum will die Kommission nun einen Trick anwenden, um es doch noch in diesem Jahr zu besiegeln: Der Vertrag soll aufgeteilt werden.

Dazu muss man wissen, dass das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Mercosur aus einem Handelsabkommen und einem politischen Abkommen besteht. Geplant war also eine engere wirtschaftliche und politische Kooperation als gemeinsamer Deal. Nun will die EU den Handelsteil von den übrigen Teilen des Assoziierungsabkommens, also jenen zum politischen Dialog und der Zusammenarbeit zwischen EU und Mercosur, trennen. Wir sollen also möglichst schnell den Vertrag unterschreiben, ohne eine Garantie zu haben, den Garten auch wirklich nutzen zu können.

Österreich muss sich wehren

Was bei einem Mietvertrag rechtswidrig wäre, ist es auch in diesem Fall. Das stellte erst im Mai ein von Greenpeace in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten fest: Ein Splitting des Assoziierungsabkommens ohne die Zustimmung der Mitgliedstaaten würde dem geltenden Verhandlungsmandat widersprechen, das die Staaten der Kommission erteilt haben. Österreich muss sich darum nach seinem Nein zum Abkommen auch gegen diesen antidemokratischen Winkelzug aus Brüssel wehren. Allen voran müssen Kanzler Nehammer und Wirtschaftsminister Kocher klar Stellung gegen das Splitting beziehen. Tun sie das nicht, bleibt Österreichs bisheriges Veto ein bloßes Lippenbekenntnis. Auf der Strecke bleiben nicht nur die Demokratie, sondern auch die Konsumentinnen und Konsumenten sowie die Beschäftigten auf beiden Seiten des Atlantik und nicht zuletzt der Klimaschutz.

Vergessen wir nicht das Wesentliche: Das Haus ist eine Bruchbude, wir wollen nicht dort einziehen. Gehen wir keine Hypothek auf unser aller Zukunft ein. Bauen wir stattdessen ein neues Haus und gestalten wir gemeinsam mit internationalen Partnern eine neue Handelspolitik, die den Herausforderungen unserer Zeit angemessen ist.

Theresa Kofler, MSc. (*1992) ist Politikwissenschaftlerin, Expertin für Handelspolitik bei Attac Österreich. Iris Frey, MSc. (*1989) ist sozial-ökologische Ökonomin und Campaignerin bei Attac Österreich.

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