Der Spectrum-Roman in Serie

Lieferdienst Wien: Immer zwei Küsse

Teil 34 von 52

… was bisher geschah: Es ist Nacht geworden in Wien, und alle, bis auf Boss Anis, sind jetzt zu Hause. Byamba muss ohne seinen Freund Ali die Knoten lösen in dieser Geschichte mit Hanna und Ellis.

Byamba trabt nach Hause. Der Abend hat kein gutes Ende genommen. Vielleicht ist die Nacht mit Ellis ein Fehler gewesen? Hätte er Hanna fragen sollen, ob sie mit ihm auf ein Date geht? Mit Dattelsirup und allem? Hanna hat sehr viel über die Arbeit gesprochen, über den Lieferdienst Wien. Signale von ihrer Seite hat es keine gegeben, da ist sich Byamba sicher. Dass er sie nach ihrem Fahrradunfall gepflegt hat, ist eine Selbstverständlichkeit.

Ali hört kaum türkische Musik. Er ist hierhergekommen und hat zuerst einmal nur bei Michael Jackson, Tina Turner und Bruce Springsteen das Radio lauter gedreht. Bei den wirklich harten Sachen. Aber wenn Ali und seine Frau tanzen wollen, dann hören sie immer noch Tarkan und sein berühmtes „Şımarık“, das, ausgesprochen, ein bisschen wie Schmarek klingt und unberechenbar und verwöhnt bedeutet. Überall sonst auf der Welt kennt man Tarkans Lied als „Kiss Kiss“, und es gibt kaum jemanden, der nicht beim Mitsingen das Refrains zumindest zwei schmatzende Küsse in die Luft wirft. Ali berichtet vom Abend, und Alis Frau muss kichern beim Gedanken an Byambas beinah schon liebenswürdige Unfähigkeit, mit den beiden Mädchen zurande zu kommen. Natürlich sind Ellis und Hanna keine Mädchen mehr, sondern junge Frauen, aber Alis Frau urteilt gerne streng. Ali erhebt sein Glas: zuerst mit dem Rakı anstoßen, dann auf die Tanzfläche im Wohnzimmer, bis die Kinder aus ihren Betten kriechen und sich beschweren: „Igitt, der Papa hat die Mama geküsst.“ – „Ekelhaft.“

In der WG gibt es jetzt den mitternächtlichen Eintopf aus Reis, Kartoffeln und Dosenmais. Das ist Moritz’ Moment, in welchem er glänzen kann. „Es ist unökonomisch, wenn jeder allein zu Hause hockt und sich Essen im Plastik liefern lässt. Der Müll, die Energie.“ Moritz möchte jetzt tiefe Gespräche über Politik, Wirtschaft, Klima und Zukunft führen. Hanna und Ellis steigen nicht darauf ein, sie wollen über Byamba und andere Männer sprechen, und außerdem soll der Job beim Lieferdienst Wien doch die WG-Miete bezahlen. „Besser Fahrrad als Auto“, sagt Hanna. „Besser Gemüse aus Spanien oder Fleisch vom Biobauern aus der Region?“, will Moritz wissen. Es gibt tausend Argumente und bleibt ein unauflösliches moralisches Dilemma. Ellis wirft den Kopf nach hinten und gähnt.

Byamba liegt in seinem Bett und schaukelt sich, von Fragen gemartert, in den Schlaf. Besser Ellis weiterhin treffen? Oder mit Hanna neu anfangen? Besser die Projekte vorantreiben oder die Karrierewünsche als Avantgardefilmer aufgeben? Baatarzorig Batjargal stellt jetzt auch seine Bilder in Deutschland aus! Dabei kocht Baatarzorig auch bloß mit dem Wasser der mongolischen Mythologie: der Wal, der Wolf, der Falke. Byamba dreht sich unruhig von der einen auf die andere Seite. Der Wal steht für Meer und Strand. Der Wolf für die Steppe und Nomaden. Der Falke erobert den Himmel. Byamba träumt. Er träumt von Fahrrädern, die durch die Steppen Ostasiens rasen. Er träumt vom Fluss Selenga und den Flüssen Ider, Orchon und Tuul. Vom Changai-Gebirge und der Wüste Gobi. Von Onon und Cherlen, vom Chentii-Gebirge und dem Amur. Er träumt von Liebe und Amour und den zwei Küssen, die der türkische Popstar Tarkan beim Singen in die Luft wirft: „Kiss Kiss“. Fortsetzung folgt

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