Musiktheatertage Wien

Mord im Dom, nun in der Hofkapelle

Historisierendes Musiktheater mit jugendlicher Unterstützung durch Schüler des AKG.
Historisierendes Musiktheater mit jugendlicher Unterstützung durch Schüler des AKG.Barbara Palffy
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„Heiliger Zorn/ detuned“ über den historischen Machtstreit zwischen Heinrich II. und Thomas Becket beeindruckt dank des Zusammenwirkens von Profis mit Schülern.

Will no one rid me of this meddlesome priest? – Befreit mich denn keiner von diesem lästigen Priester?“ Zugegeben: Was genau König Heinrich II. von England 1170 Abschätziges über seinen früheren engen Freund und Lordkanzler Thomas Becket gesagt hat, nunmehr Erzbischof von Canterbury, weiß natürlich niemand. Die zitierte Zeile stammt aus dem Filmklassiker „Becket“ von 1964, der auf Jean Anouilhs Stück basiert. Da spricht sie Peter O’Toole – durchaus nicht vordergründig zornig, sondern eher als schwelende Anklage gegen Schwäche und Feigheit seiner Männer und seiner selbst: Der Machtstreit zwischen Krone und Kirche dauerte da schon Jahre, verkörpert durch den sinnenfreudigen, aufbrausenden Henry und den durch sein kirchliches Amt verwandelten, prinzipientreuen Becket.

Zuvor hatte der König seinen Sohn Heinrich den Jüngeren zum Mitregenten krönen lassen, vom Bischof von York und anderen Klerikern: ein Affront gegen Becket, dem als Erzbischof von Canterbury dieses Recht zugekommen wäre. Daraufhin hat Becket die an der Krönung beteiligten Bischöfe exkommuniziert, was Henry zur Weißglut brachte. Bald darauf wurde Becket am Altar der Kathedrale von Canterbury ermordet – von vier Rittern, die des Königs Worte als Exekutionsbefehl gedeutet hatten. Nur gut zwei Jahre später schon erfolgte die Heiligsprechung des Opfers . . .

Verstimmte Todsünde

Der Zorn wird zu den sieben Todsünden gerechnet, auch wenn die Theologie mittlerweile lieber von Hauptlaster oder Wurzelsünden spricht. Dann gibt es freilich noch den heiligen Zorn, der sich gegen offensichtliches Unrecht richtet – etwa Jesu Wüten gegen die Händler und Geldwechsler im Tempel. In „Heiliger Zorn/ detuned“ von Thomas Cornelius Desi (Musik und Regie) und Thomas Ballhausen (Libretto) wird das Thema in mehreren aufgebrochenen narrativen Strängen mit verschiedenen Mitteln umkreist.

Livemusik und Zuspielungen vermischen und überlagern sich dabei, Profi- und Laiendarstellung, Texte in verschiedenen alten oder neuen Sprachen, in gewisser Weise also auch Historie und Gegenwart – und das an einem geschichtsträchtigen sakralen Ort: der Wiener Hofburgkapelle.

Dass das Publikum dort mit dem Rücken zum Altar sitzt, ist schon ein erstes Statement. Die teilweise genutzten Emporen, der Quergang in der Mitte, vor allem aber Podeste zu beiden Seiten entpuppen sich als Hauptspielflächen. Dabei bleibt gleich einmal in der Schwebe, wie der Titel genau zu verstehen sei: Dem als aufbrausend in die Annalen eingegangenen Henry will man wohl keinen heiligen Zorn wider den späteren echten Heiligen zubilligen; dieser hingegen ist zwar streng und unnachgiebig, nicht aber unbeherrscht. „Detuned“, also verstimmt, waren sie allerdings beide.

Tenor Alexander Kaimbacher zeichnet den Henry von Beginn an als einen Gequälten: Diesen König peinigt in einer Art Prolog, der ihn nach Beckets Tod zeigen dürfte, eher sein Gewissen als ein aufflammender Ärger, aus dem Kurzschlusshandlungen folgen würden. Zuerst mit stummen Lippenbewegungen zur eigenen Stimme via 8-Kanal-Audiosystem, dann mit sich dagegenstemmenden Gesangslinien schleppt er sich durch Kirche und Vorraum. Man denkt an Benjamin Britten, seine Kirchenparabeln, an den Epilog des „Peter Grimes“. In allgemein historisch inspirierten Kostümen (Katharina Kappert) treten dann Marie-Annick Béliveau und ein Jugendchor des Akademischen Gymnasiums Beethovenplatz im Altarraum auf. Desis Musik (mit Orgel und E-Gitarre) will den Chor merklich nicht überfordern, sie basiert auf Bordunwirkungen und Ostinati, Clustern, Improvisationen.

Lebende Bilder

Bald besteigt die Altistin die Kanzel und wird gleichsam zur Evangelistin in einem historischen, in reizvollem Altfranzösisch vorgetragenen Bericht des Konflikts zwischen König und Erzbischof. Das jugendliche Ensemble stellt dabei in Tableaux vivants mittelalterlichen Illustrationen zu diesem Thema dar, mit zwei- und dreidimensionalen Requisiten: Schiffe, Pferde, Krummstäbe, Mitren. Die Mitschülerinnen liefen von der Empore gleichsam die Tonspur dazu, etwa Hufgetrappel oder Geschrei. Später, wenn es in Richtung Mordszene geht, übernehmen die jungen Leute auch Sprechrollen: Da heißt es trotz Verstärkung die Ohren spitzen. Schließlich kommt es zur Apotheose – mit im Publikum verteilten, elektrischen Teelichtern, gen Himmel aufsteigenden Tonleitern der E-Gitarre, einer Klangwolke der Orgel und Geläut der Wandlungsglöckchen. Doch am Ende bleiben dennoch nur Atemgeräusche, Keuchen, Stöhnen: Siegt doch stets das kreatürlich Aufbrausende im Menschen? 

Beeindruckter Applaus für eine ambitionierte, trotz Schwächen sympathische Unternehmung.

Das weitere Programm

Die zweite Ausgabe des Festivals bringt von 13. bis 23. September acht Produktionen auf Bühnen und den öffentlichen Raum, flankiert von einem Vermittlungsprogramm, einer Konferenz und einem Festivalclub. Unter den weiteren Uraufführungen:
Asa Horovitz: „Ghost“, eine KI-gespeiste Performance über Tod und Erinnerung (19., 20., 21.9., brut nordwest)
Matthias Kranebitter: „Pandora“, eine „Cyber-Reanimation“ einer nur in Voltaires Libretto erhaltenen Barockoper (20., 21.9., Odeon)
https://mttw.at

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