Die prominente Sinologin Susanne Weigelin-Schwiedrzik spricht über den explosiven Widerstand in Chinas Elite. Und sie erklärt, warum Pekings Friedensplan für die Ukraine wichtig ist und wie Europa einen Weltkrieg verhindern kann.
Chinas Staatschef Xi Jinping setzt den Schwerpunkt auf Sicherheit, nicht mehr auf Wohlstand. Was ist der Grund?
Das Versprechen, dass die Menschen mit einem reicheren China reicher werden, erfüllt die Partei nicht mehr. Jener Gesellschaftsvertrag, der seit 1989 dazu beigetragen hat, dass das Regime in China relativ stabil war, gerät ins Wanken. Das Vertrauen schwindet, wenn der Staat Unternehmen wie Alibaba unter seine Kontrolle stellt. Oder wenn er, wie in der Pandemie, Kleinstunternehmen sterben lässt. Das ist aber Teil einer Strategie, um den Anteil der Privatwirtschaft sukzessive zu reduzieren. Xi Jinping bereitet die Chinesen auf einen Krieg gegen die USA vor, auch wenn er den nicht unbedingt will. Er denkt, dass die Hoffnung, als erstarktes China friedlich ins Zentrum der Welt vorzurücken, keine Grundlage mehr hat.
Regt sich nicht Widerstand gegen den absehbaren Verlust von Reichtum?
Die Menschen haben Angst. Mich erinnert die Situation an die 1970er, als ich zum ersten Mal in China studierte. Damals lebte Mao noch. Wir waren sehr vorsichtig. Trotz aller Angst äußerten sich die Leute manchmal kritisch, wenn sie Vertrauen gefasst hatten. Chinas Gesellschaft kannte immer schon versteckte Formen des Widerstands. Der mächtige informelle Wirtschaftssektor fällt darunter und ist für den Staat schmerzhaft, weil er Steuern verliert. Ironie ist ein Ventil. Doch in China hat sich noch nie eine Revolution von unten formiert. Die Menschen gehen auf die Straße, wenn sie wissen, dass sich die Elite spaltet. Das war auch 1989 so.
Und gibt es Widerstand in der Elite?