Kritik Klassik

Simon Rattle übernimmt ab nun in München das Szepter

Rattle anlässlich einer Ehrung in Berlin, 2022.
Rattle anlässlich einer Ehrung in Berlin, 2022.APA/AFP/Stefanie Loos
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Im angestammten Saal brillierte das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter seinem neuen Chefdirigenten mit Haydn.

Nach drei Jahren des Interregnums hat das Bayerische Rundfunksinfonieorchester wieder einen Chefdirigenten: Simon Rattle trat offiziell seine neue Stelle in München an; eine Liebesgeschichte, die fortsetzen soll, was unter Mariss Jansons bis zu dessen Tod schon so gut lief. Eine Konstante gibt es schon: keinen Konzertsaal. Beide verließen ihre alten Posten (Oslo, respektive London) auch deswegen; beide hoff(t)en in München vergeblich. Ein bisschen ironisch wie traurig.

Und, wie fing es an? Nicht mit einer Auftragskomposition, romantischem Bombast, Wichtigtuerei, sondern ganz klassisch: Haydns „Schöpfung“. Denn es ward Licht! Der eröffnende „Urknall“ kam gleich mit solch schneller Wucht, dass es wie ein Blitzschlag durch die Ursuppe des Universums – und den Herkulessaal – zuckte. Die Streicher zart, die Holzbläser quirlig, und „der wichtigste C-Dur Akkord der Musikgeschichte“ ging darüber mit einem herrlichen Zeitlupencrescendo auf. Wie die darin beschriebene Sonne. 

Der Chor des Bayerischen Rundfunks sang mit der üblichen Raffinesse und das Sängerterzett schlug sich gut: Lucy Crowe,­ herrlich girrend-trillernd in der Vogelarie, mit silbernem Dunstschleier um die kräftige Stimme und mit kindlicher Freude durch die Rezitative hüpfend wie Schulkinder durch Sommerpfützen.

Christian Gerhaher typisch erzählerisch, dramatisch und dynamisch jedes Extrem auslotend: exponiert, nackt, verletzlich und dann wieder donnernd, mit biblischem Ernst. Wie ihm das Kontrafagott frech und animalisch knarzend (bei „den Boden drückt der Tiere Last“) von hinten in die Parade fuhr, meinte man, unterdrückte Kicherer zu vernehmen. Benjamin Bruhns begann und beendete den Abend mit konzentriertem, kantabel-homogenem Ton. Beeindruckend, aber etwas monoton – wäre es wohl gewesen, hätte er nicht zur entsprechenden Passage ein berührendes, geradezu „gerhaherisches“ Mondscheinschimmerpianissimo eingeworfen.

Hoffen auf den Konzertsaal

Über allem dirigierte der neue Orchestervater das mit großer Leichtigkeit und sichtbarer Freude spielende Orchester. Rattle scheint eindeutig in der Phase seines Lebens angekommen zu sein, in der er nichts mehr beweisen muss, dafür alles genießen kann. München freut sich offenbar mit gutem Grund auf die kommenden Jahre. Und vielleicht wird’s ja doch noch was mit einem Konzertsaal für den Bayerischen Rundfunk. Es wäre diesem Orchester zu wünschen.

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