Kaukasus

Großteil der Bevölkerung von Berg-Karabach auf der Flucht

Endlose Kolonnen verlassen Berg-Karabach nach Westen Richtung Armenien.
Endlose Kolonnen verlassen Berg-Karabach nach Westen Richtung Armenien.APA / AFP / Siranush Adamyan
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Schon fast 90.000 Menschen haben die jüngst von Aserbaidschan eroberte armenische Exklave verlassen. Dort sollen zuletzt etwa 120.000 gewohnt haben. Österreichs Außenminister Schallenberg sieht die Gefahr eines „Flächenbrandes im Südkaukasus“.

Nach Aserbaidschans blitzartiger Eroberung der armenisch dominierten Konfliktregion Berg-Karabach im Südkaukasus haben laut UNO und der Regierung Armeniens bisher über 88.000 Menschen Zuflucht in Armenien gesucht. Es handle sich um Menschen, die gezwungenermaßen ihre Heimat verließen, sagte Regierungssprecherin Naseli Bagdassarjan am Freitag in Jerewan mit. Nach offiziellen, nicht überprüfbaren Angaben lebten zuvor 120.000 Karabach-Armenier in der Region, ältere Quellen sprechen von bis zu 150.000.

APA / Martin Hirsch

Das autoritär regierte, islamische Aserbaidschan hatte in einer Militäroffensive in der vergangenen Woche die seit Jahrzehnten umkämpfte Region zur Gänze zurückerobert. Die Führung der international nicht anerkannten christlich-armenischen Republik Arzach (Berg-Karabach) hat kapituliert und die Selbstauflösung zum 1. Jänner 2024 besiegelt. Die aserbaidschanische Regierung und Russland, das als Schutzmacht Armeniens gilt, hatten erklärt, dass es keinen Grund zur Flucht gebe. Allerdings befürchten die Karabach-Armenier Verfolgung und Gewalt durch Aserbaidschan.

Vorwurf ethnischer Säuberungen

In Jerewan warf Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan dem Nachbarland am Donnerstagabend bei einer Regierungssitzung „ethnische Säuberungen“ vor. „Die Analyse der Situation zeigt, dass in den kommenden Tagen in Berg-Karabach kein Armenier mehr sein wird.“ In der Vergangenheit hatte es zwischen den christlichen Karabach-Armeniern und den muslimischen Aserbaidschanern praktisch andauernd Konflikte gegeben.

Särge neben einem Leichenschauhaus in Stepanakert, Hauptort von Berg-Karabach.
Särge neben einem Leichenschauhaus in Stepanakert, Hauptort von Berg-Karabach.Reuters / David Ghahramanyan

Nach armenischen Regierungsangaben wurde in der Nähe von Berg-Karabach ein humanitäres Zentrum für die Flüchtlinge eingerichtet. Der Menschenrechtsbeauftragte von Berg-Karabach, Gegam Stepanjan, hatte mitgeteilt, dass bei der Offensive Aserbaidschans mindestens 200 Menschen getötet und etwa 400 verletzt worden seien. Auch die aserbaidschanische Seite hatte über Verluste in den eigenen Reihen berichtet, die Rede ist von mindestens 190 Gefallenen und 510 Verwundeten..

Etwas größer als das Burgenland

Die gebirgige Region, mit rund 4400 km² etwas größer als das Burgenland, ist seit Jahrzehnten zwischen den verfeindeten Ex-Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien umstritten. In den 1990er-Jahren konnte sich das auf aserbaidschanischem Gebiet liegende, aber ethnisch mehrheitlich armenische Berg-Karabach mithilfe Jerewans in einem Bürgerkrieg von Baku loslösen.

Dem durch Öl- und Gaseinnahmen mittlerweile militärisch überlegenen Aserbaidschan gelang zunächst 2020 eine Rückeroberung großer Teile Berg-Karabachs. Dabei hatte es offenbar auch Hilfe durch die verbündete Türkei bekommen. Ein von Russland damals vermittelter Waffenstillstand erwies sich als brüchig.

Österreich hilft Armenien

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg kritisierte die aserbaidschanische Offensive und forderte von Baku Sicherheitszusagen für die Armenier. Mit Blick auf andere Konflikte in der Region sieht der Minister „das Potenzial für einen massiven Flächenbrand im Südkaukasus“. Zugleich kündigte er in der Tiroler Tageszeitung vom Freitag zwei Millionen Euro an Hilfen für die Karabach-Flüchtlinge aus zusätzlichen Mitteln der Austrian Development Agency (ADA). Sie sollen den Vertriebene über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz zugutekommen. Armenien ist ein ADA-Schwerpunktland. (APA/red.)

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