Gastkommentar

Was kostet die „Deglobalisierung“?

Getrieben von den Lehren der Pandemie holen nicht nur die USA und China die Produktion ins eigene Land zurück.

Zu Beginn eine Frage: Was kostet die „Deglobalisierung“? Kurz gesagt: das Vier- bis Fünffache, wenn etwa der Hersteller eines Schlüsselprodukts wie der Mikrochiphersteller TSMC mit Sitz in Taiwan aus einer Niedriglohnregion in politisch stabilere Regionen verlagert wird, um die Unabhängigkeit eines Landes zu vergrößern. 

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Getrieben von den Lehren der Pandemie und den schmerzhaften Abhängigkeiten von den billigsten Produzenten holen nicht nur die USA und China die Produktion ins eigene Land zurück. Auch die EU, Japan und Südkorea versuchen so ihre Unabhängigkeit zu stärken. Ist das das Ende der Globalisierung? Harald Oberhofer, Ökonom an der Wirtschaftsuniversität Wien und am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo), nennt es zu­mindest eine „Phase der Zurückdrängung der Globalisierung“. Was Schlüsseltechnologie angeht, konnte die USA schon im Dezember 2022 einen Coup landen, der in seiner Größe und weltweiten Auswirkung mustergültig für diese Rückabwicklung globaler Produktion steht.

Der weltweit führende Halbleiterhersteller TSMC baut gleich zwei Fabriken mit neuester Hochtechnologie in den sandigen Boden Arizonas, wie US-Präsident Joe Biden stolz verkündete. Kein Wunder: Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company ist eine wahre Gelddruckma­schine, deren Umsatz seit 1994 durchschnittlich um 17,4 Prozent pro Jahr gewachsen ist. Die 40-Milliarden-Dollar-Investition von TSMC in Phoenix ist eine der größten Auslandsinvestitionen in der Geschichte der USA und die ­größte, die je in Arizona getätigt wurde. Um die Fabriken zu betreiben, hat TSMC 1200 Ingenieure eingestellt und sie 18 Monate lang in Taiwan ausgebildet. Da der Fachkräftebedarf jedoch damit noch nicht gedeckt ist, versucht TSMC derzeit, die US-Visaanträge von weiteren 500 taiwanesischen Schlüsselarbeitskräften zu beschleunigen.

Die Ansiedlung ist die Krönung des 52 Milliarden Dollar schweren „Chips and Science Act“, den Biden nur vier Monate zuvor unterzeichnet hatte. Versüßt mit Krediten und Steuergutschriften soll er Chiphersteller zurück in die USA locken. Denn 1990 wurden noch 37 Prozent der Halbleiterchips in den USA hergestellt, heute sind es nur noch zwölf Prozent. Doch alles aus der chinesischen „Fabrik der Welt“ zu verlagern, ist unmöglich. Zu komplex ist die chinesische Infrastruktur mit unzähligen Fabriken und einer einzigartigen Produktionserfahrung. Zudem verfügt China über die Hälfte der größten Containerhäfen der Welt. Doch um den neuen US-Zöllen zu entgehen, haben Giganten wie Samsung, LG Electronics oder Hasbro China verlassen. Apple produziert bereits das iPhone 14s in seiner neuen Fabrik im indischen Chennai. Bis 2025 soll ein Viertel aller iPhones von dort kommen. Und ein Fünftel aller iPads und Apple Watches sollen in Vietnam produziert werden.

Mindestens 50% Mehrkosten?

Warum der Umzug von TSMC aus einer Niedriglohnregion in eine politisch stabilere Region ein solcher „Deglobalisierungs-Best-Case“ ist, liegt in der strategischen Bedeutung seiner Mikrochips. Sie steuern einen Großteil der führenden Computer, Smartphones und anderer elektronischer Geräte. Apple, Nvidia oder AMD sind einige ihrer wichtigsten Kunden. Der Teil dieses Prozesses, über den niemand gern spricht, sind die steigenden Kosten für alle Arten von Gütern und Produkten. Etwas, das die anhaltende Inflation nicht gerade mildert.

Bei der Eröffnungsfeier der TSMC-Baustelle verkündete Tim Cook, dass Apple Chips von TSMC Arizona verwenden werde. Ob die teuren iPhones und MacBooks dadurch noch teurer werden, sagte er nicht. Morris Chang, der 91-jährige Gründer des Halbleitergiganten, wurde auf der gleichen Feier deutlich konkreter. Er geht davon aus, dass die Chips von TSMC Arizona mindestens 50 Prozent mehr kosten als die von TSMC Taiwan. Denn natürlich sind in den USA die Baukosten, Löhne und Sozialleistungen höher. Wendell Huang, CFO von TSMC, sagte sogar: „Wir können Ihnen keinen konkreten Kostenunterschied zwischen Taiwan und den USA nennen, aber wir können Ihnen sagen, dass der Hauptgrund für den Kostenunterschied die Baukosten für Gebäude und Anlagen sind, die vier- bis fünfmal höher sein können.“ Intuitiv wissen wir alle, dass mit fortschreitender Deglobalisierung die Kosten steigen. Aber wie genau sieht das im großen Business-to-Business-Geschäft aus?

Wer trägt die Mehrkosten?

TSMC geht davon aus, dass seine Großkunden den höheren Preis verkraften können. Schließlich forderten sie von TSMC „geografische Flexibilität“ in ihrer Halbleiter-Lieferkette. Zudem waren die Bruttomargen von Apple & Co. zuletzt auch nicht so schlecht. Wird Apple diese Kosten an die Konsumenten weitergeben? Oder die eigenen Margen schmälern? Variante zwei ist eher unwahrscheinlich. Die unangenehme Wahrheit ist: Der alltägliche Konsument wird diese Kosten tragen. Angesichts der wirtschaftspolitischen Realität ist es wahrscheinlich richtig, solche Schlüsselfabriken in stabilen Umgebungen anzusiedeln. Inwieweit es sich lohnt, für eine widerstandsfähigere Lieferkette oder für eigene Fertigungskapazitäten zu zahlen, um strategische Schwachstellen zu verringern und künftige Katastrophen abzumildern, die noch teurer würden, wird sich zeigen. Die große Frage lautet: Was ist uns die Unabhängigkeit von den Niedriglohnländern wert?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Dachser

Peter Deutschbauer ist seit September 2023 neuer Managing Director Air & Sea Logistics Eastern Europe & Austria bei Dachser. Zuvor war er in verschiedenen Führungsfunktionen in den Bereichen Sales und Ocean Freight bei DB Schenker, Kühne & Nagel und Panalpina tätig. 

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