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Reisen mit wenig Gepäck

Früher konnte man Koffer auf jeder Zugstrecke aufgeben, heute fliegen aufgegebene Koffer mit. Aber wo?
Früher konnte man Koffer auf jeder Zugstrecke aufgeben, heute fliegen aufgegebene Koffer mit. Aber wo?Unsplash/Felix H.
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Koffer aufgeben: Mit viel Gepäck wanderte ich einst aus. Mit wenig Gepäck reise ich heute.

„Life is a journey“, meinte Billy Idol, „don‘t take too much luggage with you.“ Bei meiner Auswanderung nach Lissabon, 1988, als 19-Jähriger, hielt ich mich nicht im geringsten daran. Ich hatte dort den Sommer verbracht. Kurz war ich nach Salzburg zurückgekehrt, um drei riesige Koffer mit meinen Habseligkeiten zu füllen und meinen Eltern einzureden, dass ich in Lissabon studierte. Ich fuhr Zug, Flüge waren zu teuer. Zu jener Zeit bot die Eisenbahn noch an, Koffer „aufzugeben“ (die Doppeldeutigkeit des Wortes!). Man füllte bei der Gepäckaufbewahrung einen Zettel aus, zahlte einen Obulus und holte sie Tage später an der Zieldestination ab. Lissabon war am Ende der Welt, der Ankunftszeitpunkt meiner Koffer lang unklar. Jeden zweiten Tag ging ich zum Bahnhof Santa Apolónia. Nach zwei Wochen tauchten sie auf. Sie waren gefüllt mit Büchern, ohne die ich mir eine reguläre Auswanderung nicht vorstellen konnte. Ein bisschen Gewand hatte ich durchaus dabei. Aber vor allem Bücher.

Die „Auswanderung“ nach Lissabon endete nach 14 Monaten. Ich hatte die Sprache gelernt, übersetzte sogar drei Bücher von Rui Zink, und ich komme seitdem gern zurück. 2023, in der Alfama wohnend, konstatierte ich die inzwischen fast komplett abgeschlossene Barcelonaisierung der Stadt. Mein eigener Anteil daran stieß mir bitter auf. Ich war angereist mit einer Billigfluglinie, ich wohnte in einem Airbnb, ich akzeptierte die miese Touri-Qualität des Bacalhau und das bittere spanische Fassbier, welches Sagres und Super Bock Konkurrenz macht.

Längst halte ich mich an Billy Idols Vorgabe, mit wenig Gepäck durchs Leben zu reisen. Wieso? Gepäck „aufzugeben“ ist heute paradoxerweise teurer als der Flug selbst. Solche Wunder wundern keinen mehr. Bei meinem drittletzten Lissabonflug fragte mich das Vorschulkind, wo denn nun unser großer Koffer eigentlich sei. Ich: „Den hab ich aufgegeben. Der fliegt mit.“ Das Kind sah mich verblüfft an: „Echt?“ Daraufhin starrte es, während wir die Tejomündung überflogen, prüfend aus dem Fenster, um einen Blick auf den mitfliegenden Koffer zu erhaschen.

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