Replik

Ein EU-Bashing der besonderen Art

Alles Böse kommt aus Brüssel. Rainer Stepans Parforceritt durch die Jahrzehnte und Themen zeigt nur: Die EU ist eben nicht allein.

Rainer Stepan, langjähriger Mitarbeiter von Alois Mock, hat am Montag an dieser Stelle ein Paradebeispiel dafür geliefert, wie österreichische Außenpolitik gedacht wird: Alles Böse kommt aus Brüssel, und nur man selbst wüsste, wie es ginge, wenn man denn dann nur dürfte und könnte.

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Da wird selbst der Mythos vom „Riesenapparat EU“ bemüht, um den eigenen Argumenten Gewicht zu verleihen. Wohl wissend, dass das natürlich nicht stimmt. In der EU-Kommission arbeiten derzeit etwa rund 32.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Zum Vergleich: Ähnlich viele arbeiten allein im Magistrat Wien, zusammen mit ausgelagerten Unternehmen werken gar 67.000 Menschen für die Stadt Wien – also doppelt so viele wie im Moloch EU-Kommission.

Als Basis für dieses eigenwillige Europaverständnis muss dann auch mal ein Aufsatz(!) des ehemaligen ÖVP-Bundeskanzlers Klaus aus dem Jahre 1972 herhalten – veröffentlicht Jahrzehnte vor Schaffung des Kernstücks der EU-Integration, dem gemeinsamen Binnenmarkt. Einerseits wird Subsidiarität zum Säulenheiligen dieser Politik erhoben, gleichzeitig fällt dabei ausgerechnet die zweite, föderale Kammer im europäischen Gesetzgebungsprozess – nämlich der EU-Ministerrat – unter den Tisch. Stepan wünscht sich stattdessen das Europaparlament als alleinigen Gesetzgeber. Österreich würde somit seiner Stimme im Ministerrat verlustig. Gleichzeitig soll der EU-Kommission nur noch eine koordinierende Funktion zukommen. Wohlwissend, dass Koordinierung das Gegenteil von Entscheidung und Entschlusskraft ist.

Dem nicht genug, wird der EU auch gleich noch vorgeworfen, dass sie sich beim Abschluss von Handelsabkommen doch tatsächlich an WTO-Regeln hält und damit für die Nicht-Entwicklung der Staaten Subsahara-Afrikas verantwortlich sei. Außer Acht lassend, dass diese Staaten es auch in den Jahrzehnten vor Gründung des WTO im Jahr 1994 nicht geschafft haben, den Anschluss an die Weltwirtschaft einzuleiten, entgeht dem Autor auch noch, dass die meisten dieser Staaten „am wenigsten entwickelte Staaten“ (Least Developed Countries, LDCs) sind und somit die angeblich ach so hemmenden WTO-Regeln für sie gar nicht zur Anwendung kommen bzw. weitgehende Ausnahmeregeln bestehen. Aber wen interessieren schon Fakten, wenn man so richtig schön in Fahrt ist beim Verunglimpfen der EU.

Ein Blick in Handels- und Wirtschaftsstatistiken würde übrigens auch die behauptete Aufteilung Afrikas zwischen China und Russland umgehend widerlegen. Die EU hat hier gar nichts „verschlafen“. Man müsste dafür nur verstehen, dass die EU mit ihren 27 Mitgliedern als einheitlicher Wirtschafts- und Handelsblock agiert und somit in ihrer Gesamtheit zu betrachten ist.

Das ist das Wesen der Politik

Überhaupt dieser absurde Vorwurf, die EU hätte etwa „verschlafen“ und sei „blind“ für globale Entwicklungen. Stepans Parforceritt durch die Jahrzehnte und Themen – von Russland zur Ukraine, von Afghanistan zu Migration und fortschreitender Islamisierung, Teuerung und Klimapolitik, Bildung und Landwirtschaftsreformen – zeigt nur eines: Die EU ist eben nicht allein.

Niemand in der internationalen Politik ist davor gefeit, mit neuen Herausforderungen konfrontiert zu sein. Das ist das Wesen der Politik. Zudem würden sich viele der von Stepan aufgeworfenen Problemfelder wohl nur durch eine gemeinsame europäische Armee lösen lassen. Damit würde dann aber auch einer Art liberaler Kanonenbootpolitik Tür und Tor geöffnet. Rainer Stepan träumt offensichtlich von einem „wehrhaften Europa“.

Stefan Brocza (*1967) ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

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