Rom

Dort kehrte Ingeborg Bachmann ein

Ingeborg Bachmann auf dem Campo de Fiori, Rom 1954.
Ingeborg Bachmann auf dem Campo de Fiori, Rom 1954.Foto: Herbert List/Magnum/Picturedesk
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Die Via Giulia ist nur einen Katzensprung vom Vatikan entfernt, eine enge, schummrige Gasse, im Zentrum und doch abgelegen, abseits und düster auch der Palazzo Sacchetti. Ein paar Häuser weiter hat Ingeborg Bachmann zwei Jahre mit Max Frisch gelebt.

Viel Komisches könnte ich über das Autofahren in Rom erzählen“, schrieb die junge Ingeborg Bachmann dem mittelalten Max Frisch. Das kann ich auch. In der Abenddämmerung eines Dezembersamstags starrten Laetizia und ich in den Himmel über der Stazione Roma Termini, wo eine Traube aus Tausenden Staren ihre Formationen flog, wie computeranimiert und ferngesteuert. Zuerst mit der Tramway, dann mit dem Bus fuhren wir durch die halbe Ewige Stadt zur Fiera Nazionale, zur Römischen Buchmesse Più Libri im Palazzo dei Congressi, wo ich einen Auftritt zu absolvieren hatte.  

Das Podiumsgespräch fand im Caffè Letterario statt, wo vor uns, ein paar italienischen Schriftstellern und mir, die Parlamentspräsidentin Laura Boldrini an der Reihe gewesen war. Unser Thema lautete „Il ruolo e la responsabilità dello scrittore di fronte ai grandi mutamenti sociali contemporanei“. Ich sprach ein paar Sätze über die Wechselwirkung von Kunst (Literatur) und Politik, vom Hofnarrenstatus der Künstler und Intellektuellen, den sie jahrhundertelang hatten, und den sie heute immer dramatischer verlieren, weil ihre Bedeutung schwindet. Die Souffleure der Politik kommen heute fast ausschließlich aus Industrie und Wirtschaft, vor allem aus Geldwirtschaft und Kapital, und dementsprechend sehen Gesellschaft und Welt und ihre Moral auch aus …

Nach der Veranstaltung sollte uns, Laetizia und mich, einer der römischen Kollegen zum Abendessen zu einem Künstlerlokal namens „Kino“ im afrikanischen Viertel der Stadt bringen, Stefano, der „nur schnell den Wagen holen wollte“. Und dann war er weg und ließ uns in der römischen Dezembernacht zurück. Wir warteten eine Viertelstunde, eine halbe Stunde, eine Dreiviertelstunde verzagt vor dem verwaisten Palazzo in der Finsternis, von Stefano keine Spur, sodass wir bald verängstigt und verzweifelt waren … Aeternitas, aeternitatis, horror vacui! Wo wäre hier ein Bus? Wie sollten wir ein Taxi ordern? Hier war niemand mehr: Lost in Cosmos, Night on Earth.

Roberto Benigni, wie er leibte und lebte

Plötzlich tauchte Stefano doch aus der Dunkelheit auf und entschuldigte sich mit einem Geschnatter, das den Gänsen des Kapitols alle Ehre gemacht hätte: Sein Wagen sei komplett zugeschissen gewesen, die Vögel! Es war nicht die Lerche gewesen und auch nicht die Nachtigall, und auch die Schwalben waren es nicht, die Möwen waren es oder die Flotte der Stare, jedenfalls hatten sie die ganze Karosserie – man kann es nicht anders sagen – komplett zugeschissen, entsetzlich! Und Stefano – aber das war gar nicht mehr Stefano, das war Roberto Benigni, wie er leibte und lebte und plapperte – hatte die zugeschissene Karosserie oder wenigstens die Wagenfensterscheiben in der Finsternis erst mit der aktuellen Ausgabe des „Corriere della Sera“ notdürftig reinigen müssen, scusate, scusate! Und so sah sie auch aus, die Karosserie, man konnte deutlich sehen, was sie gerade erlebt und durchgemacht hatte: Diese Karosserie gehörte genau genommen gar nicht Stefanos Wagen, sondern dem Wagen von Stefanos Mutter, ich glaube ein 2CV, eine Ente, die er von ihr, der Mutter, ausgeliehen hatte aus dem einfachen, aber sensationellen Grund, dass er, der Wagen der Mutter, eine gerade Kennzeichennummer hatte (während die seines Wagens ungerade war) und an diesem Samstag in Rom wegen des Feinstaubs nur Wagen mit gerader Nummer auf den Straßen unterwegs sein durften. Am Sonntag, erzählte Stefano auf der endlosen Fahrt durchs nächtliche Rom, würde es umgekehrt sein, da seien nur die Autos mit ungeraden Nummern gestattet, weshalb er Mutters Wagen bis Mitternacht zurückstellen und gegen seinen eigenen tauschen müsse, die Mutter werde natürlich keine Freude mit dem Vogelkotmousse haben, er werde an Ort und Stelle noch einmal nachputzen müssen. Er sei übrigens Kriminalautor und bei einem kleinen Verlag: Leben könne er vom Schreiben freilich nicht – er sei im Import/Export tätig, Obst Gemüse, Hülsenfrüchte, ein neuer Roman fertig, vielleicht ein größerer Verlag, vielleicht, vielleicht …

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