Gastkommentar

Wenn Parteien die Message fehlt

Österreichs Parteien zeigen sich gerade wieder besonders orientierungslos – das ist ein Risiko für jede Demokratie.

Vom umstrittenen Nehammer-Video über die Kleingarten-Causa bis zum Trip nach Afghanistan: Die Eskapaden österreichischer Politiker sorgen derzeit wieder gehäuft für Schlagzeilen. Sie zeigen auch, wie stark sich die Parlamentsparteien von ihren Werten entfernt und ihrer Stammwählerschaft entfremdet haben. Die Aussichten auf die Zukunft in einer westlichen Demokratie, in der die „DNA“ den Parteien spürbar abhandenkommt, sind alles andere als rosig.

Schon der rigide Migrationskurs von Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz entsprach nicht den Vorstellungen jener Wählerinnen und Wähler, die in der Volkspartei ihre christlich-demokratischen Wurzeln verankert sahen. Chat- und Korruptionsskandale taten ihr Übriges. Aktuell löste ein Video Empörung aus, in dem Kanzler Nehammer in geselliger Runde bedürftigen Familien McDonald’s-Hamburger als billiges Essen empfahl und (wieder einmal) gegen Teilzeitbeschäftigte wetterte. Pech für die ÖVP: Das Video störte auch ihren Versuch, eine neue Schlüsselbotschaft ins Land zu tragen („Glaub an Österreich“), nach der viele Parteien im krisengebeutelten Europa gerade verzweifelt suchen.

Suche nach einem Narrativ

„Wir brauchen ein Narrativ“, stellte der burgenländische Landeshauptmann, Hans Peter Doskozil, bereits 2021 fest. Ein solches haben aber auch die Sozialdemokraten nach drei Jahren Pandemie, und das trotz Rekordinflation und steigender Lebenserhal­tungskosten, nicht gefunden.

In Wien beschäftigt der Verkauf von Kleingärten an SPÖ-Politiker inzwischen die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Bürgermeister Michael Ludwig, der zur Bekräftigung seines „Wiener Sonderwegs“ in der Corona-Politik gern vor die Kamera trat, schwieg vorerst – bis SPÖ-Chef Andreas Babler Aufklärung ankündigte. Die von den Sozialdemokraten wie ein Mantra beschworene Solidarität funktioniert in den eigenen Reihen nicht. Sie reicht daher ebenso wenig als Message an die Bevölkerung.

An Glaubwürdigkeit büßten vor allem die Grünen nach ihrer Regierungsbeteiligung ein. Mit Klimaschutz befasst sich inzwischen fast jede Partei. Und ihr Credo von Transparenz und Toleranz verlor spätestens dann an Strahlkraft, als Grünen-Chef Werner Kogler mehr verlegen als überzeugend erklärte, warum seine Partei gegen die Verlängerung des Ibiza-Untersuchungsausschusses gewesen war oder der angedachten Corona-Impfpflicht zugestimmt hatte.

Die FPÖ, die mit Sprüchen wie „Daham statt Islam“ nach Wählern fischt, hat sich erst neulich die Blöße gegeben. Den operettenhaft wirkenden Besuch von zwei FPÖ-Mitgliedern bei den radikalislamischen Taliban in Afghanistan dürften einige Stammwähler als verstörend empfunden haben. Ganz zu schweigen von der Nähe der Freiheitlichen zu Russland und ihrem eigenartigen Verständnis von direkter Demokratie: Bekanntlich setzte die türkis-blaue Koalition die Hürde für Referenden 2017 besonders hoch an.

Mehr Wechselwähler

Orientierungslose Parteien stellen für jede Demokratie ein Risiko dar: Die Zahl der Wechselwähler steigt, während neue Wählerschichten Botschaften nicht mehr klar zuordnen können. Dadurch werden Prognosen weniger verlässlich. Gleichzeitig könnten Koalitionen schwerer zustande kommen und von kürzerer Dauer sein, was Regierungen instabil macht. Jedes Unternehmen, das nicht mehr weiß, wer seine Zielgruppe ist, verliert. Scheitern werden die Parlamentsfraktionen trotz ihrer Planlosigkeit zwar nicht. Auf lange Sicht gewinnen wohl aber auch nicht.

Stefan Haderer (*1983) ist Kulturanthropologe und Politikwissenschaftler. 2023 erschien: „Perspektivenwechsel: Beobachtungen im Jahrzehnt des Wandels“.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

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