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Wohlüberlegte Entregelung

Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld im Film über Ingeborg Bachmann, „Reise nach Ägypten“ 
Vicky Krieps und Ronald Zehrfeld im Film über Ingeborg Bachmann, „Reise nach Ägypten“ Polyfilm
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Es ist doch seltsam, wie in einer längst vergangenen Figur manchmal alles ineinanderfließt. Auch eine simple Kulturwoche im Herbst 2023, mit Nobelpreis, Ingeborg Bachmanns Reise und einem Gemobbten der Wiener Moderne.

„Ich sage, man muss Seher sein, sich zum Seher machen. Der Dichter macht sich zum Seher durch eine lange, ungeheure und wohlüberlegte Entregelung aller Sinne. Alle Formen der Liebe, der Leiden, des Wahnsinns; er sucht selber, er erschöpft in sich alle Gifte, um nur deren Quintessenzen zu bewahren.“ Guten Morgen mit Arthur Rimbaud.

Es ist doch seltsam, wie in einer längst vergangenen Figur manchmal alles ineinanderfließt. Auch eine simple Kulturwoche im Herbst 2023, geprägt von Literaturnobelpreis, einer Oppenheimer-Ausstellung im Leopold Museum und der Vorahnung auf den 17. Oktober, an dem Ingeborg Bachmann 50 Jahre tot sein wird, krepiert im römischen Sant-Eugenio-Krankenhaus an den Entzugserscheinungen ihrer Tablettensucht. „Reise nach Ägypten“ heißt der Film, der nächste Woche über Bachmann, gespielt von „Corsage“-Sisi Vicky Krieps, in die Kinos kommt; ob Sie ihn sich ansehen müssen, darüber lesen Sie in der kommenden „Presse am Sonntag“, das sei hier noch nicht verraten.

1964 war Bachmann mit ihrem jungen Liebhaber nach Ägypten und in den Sudan gereist, auch um über Max Frisch hinwegzukommen. Sie besuchten das Wadi Haifa, das dem Assuan Staudamm geopfert wurde, überflutet werden sollte. „Daran kann ich mich klammern. Denn es wird untergehen“, schrieb Bachmann, ganz hingegeben ihrer existenziellen Hoffnungslosigkeit. Die Reise wurde, vielleicht deswegen, zu einer ausschweifenden, sexuell und toxisch, Bachmann probierte unter anderem das erste Mal Haschisch, was ihr nicht sonderlich behagte.

Ja, die wohlüberlegte Entregelung aller Sinne, die Rimbaud schon pries, dieses Phantasma des französischen Dandys, der wir im Grunde alle sein wollen. Auch er floh nach Ägypten, über Ägypten, nach Afrika, in ein anderes Leben. „Ich ist ein Anderer“, ist der berühmte Satz, hingeworfen in einem Brief, der Generationen an Künstlern prägte in ihrer ewigen Sehnsucht nach einem selbst, nach einem noch mehr an Selbst, um dort doch nur in Leere zu stürzen.

Nun gut, Bachmann war für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Jon Fosse hat ihn nun erhalten, „Ich ist ein anderer“ schrieb er doch recht dreist als Übertitel über das rezente eigene Werk, eine Heptalogie – gut, Sie müssen die Sieben, die darin steckt, natürlich nicht nachschlagen, ich hatte kein Griechisch. Es geht um den Maler Asle dabei, der in Einsamkeit am Rande eines norwegischen Fjordes lebt, und seinem Doppelgänger, dem Anderen. Statt Leere sieben Bände, das ist auch eine Lösung, warten wir auf die Bühnenversion.

In Österreich ist Fosse, der teils auch im niederösterreichischen Hainburg lebt übrigens, bisher vor allem aus dem Theater. „Traum im Herbst“ war eines seiner ersten Stücke, 2001 am Akademietheater aufgeführt, mit Peter Simonischek in der Hauptrolle des Mannes, der am Friedhof eine alte Liebe trifft und mit ihr geht. Geht auch nicht gut, „Wie schwer es ist, glücklich zu sein“, wie Giorgetta in Puccinis „Trittico“ gerade in der Staatsoper seufzt, auch ein Dauerseufzer, schon bei den Salzburger Festspielen 2022 zu hören. Auch Simonischek wusste um diesen schwierigen Zustand, zumindest wenn der Applaus verebbt war, erzählte meiner Kollegin Judith Hecht die Witwe Brigitte Karner; diese Woche kamen die Erinnerungen Simonischeks heraus, „Kommen Sie näher“.

Oder gehen Sie ins Leopold Museum, wo eine wundervolle Ausstellung ab heute wartet, der unsichtbare fünfte im Bunde der großen Wiener Modernen Klimt, Schiele, Kokoschka, Gerstl – und eben Max Oppenheimer. Unglaublich, wie Kokoschka es schaffte, seinen Ruf nachhaltig zu zerstören, allein aus Eifersucht heraus. Oppenheimers Porträts gehören zum ganz Großen der damaligen Zeit, auch sie wollten, wie damals alle, das Innere herausholen aus dem Äußeren des Menschen, das andere Ich, das man nicht sieht. Oppenheimer, der schwule Dandy, der durch die Avantgarden seiner Zeit nomadisierte, der sich selbst als eine Art Wiener Oscar Wilde inszenierte, wusste bestens über diese Mechanismen Bescheid. Sein großes Vorbild? Rimbaud, wer sonst. Oppenheimers Porträts gehören jedenfalls zum Feinsten seiner Zeit, seine späteren Werke nun ja. Interessant ist seine Faszination für Musik und sein Versuch, diese zu malen, also den Moment ihrer Entstehung zu fassen. Oppenheimer tat das, in dem er sich auf die Abbildung der Hände und der Instrumente der Musiker während des Spielens konzentrierte, vibrierende Stillleben. „Was kann das Holz dafür, wenn es als Geige erwacht“, um hier mit Rimbaud wieder zu schließen.

Auch Ihnen ein derart unschuldiges Erwachen,

Ihre Almuth Spiegler
almuth.spiegler@diepresse.com

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