Gastkommentar

Sind wir überhaupt eine liberale Demokratie?

Peter Kufner
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Überall hört man Klagen über den Populismus und eine neue Liebe für Autokraten. Was läuft hier falsch?

Wir nennen uns eine liberale Demokratie. Die Bürger dürfen einmal alle fünf Jahre ihre Stimme „abgeben“. Und es gibt bei uns mehr Freiheit als in China oder Russland. Aber reicht das aus? Wie sieht es etwa mit der Gewaltentrennung aus? Oder mit der Parteienfinanzierung? Überspitzt könnte man vielleicht sagen, dass das Recht zwar vom Volk ausgehe, jedoch leider nicht mehr zu diesem zurückkomme … Geht in Österreich das Recht nicht eher von den Parteien aus? Brauchen wir nicht einfach mehr Freiheit und mehr Demokratie?

Viele sagen jetzt, sie wollen „Kickl verhindern“ – tun zugleich aber fast alles, um das Gegenteil zu bewirken. Kanzler Sebastian Kurz wurde zwar erfolgreich aus seinem Amt entfernt – doch jetzt führt wieder die FPÖ in allen Umfragen. Überraschend? Nicht wirklich, wenn man sich die Geschichte der Zweiten Republik ansieht: Es gab immer eine Mehrheit von ÖVP plus FPÖ – einzige Ausnahme war die Ära Bruno Kreisky, der bekanntlich mehrmals eine absolute Mehrheit für die SPÖ erzielte. Aber seit Jörg Haider im Jahr 1986 die FPÖ übernommen hatte, lagen ÖVP und FPÖ gemeinsam meist ziemlich konstant bei etwa 53–54 Prozent der Stimmen. Auch jetzt wieder. Wenn die ÖVP gewinnt, verliert die FPÖ – und umgekehrt. Es sind sozusagen kommunizierende Gefäße.

Aber nicht nur in Österreich: Auch in den USA steigen Donald Trumps Umfragewerte mit jeder zusätzlichen Anklage gegen ihn. In Deutschland führt nicht nur die AfD haushoch in Umfragen; auch die Affäre um den stellvertretenden bayrischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger hat dazu geführt, dass seine Partei, Freie Wähler, bei den Landtagswahlen in Bayern am vergangenen Sonntag um 4,2 Prozent (auf 15,8 Prozent) zulegen konnte. (Auch die AfD erreichte einen Zuwachs von 4,4 Prozent und liegt bei 14,6 Prozent in Bayern.)

Was läuft hier falsch? Überall hört man Klagen über den Populismus, über eine Gefährdung der liberalen Demokratie und eine zunehmende Sympathie, vor allem jüngerer Menschen, für Autokraten aller Art. Doch es ist letztlich ganz egal, ob – beziehungsweise inwiefern – diese Zuschreibungen wirklich zutreffen: Funktioniert haben sie bisher nicht.

Wo bleibt das bessere Angebot?

Denn politische Gegner „verhindert“ man wohl eher dadurch, dass man den Wählern ein besseres Angebot macht – und zwar aus Sicht dieser Wähler! Wie wäre es denn, sich einmal zu sagen: Wenn demagogische Parteien und Politiker (mit oder trotz ihrer Repräsentanten und Programme) in der Wählergunst so viel besser abzuschneiden scheinen als wir selbst, dann müssen wir doch irgendetwas falsch machen.

Man kann nicht ständig vor dem Ende der Demokratie warnen, dabei aber den Willen der Mehrheit der Wähler geringschätzen. Oft hört man zum Beispiel, dass man ja gar nichts gegen die Wähler der Populisten habe, sondern lediglich gegen deren Repräsentanten. Doch dies legt einerseits nahe, dass man in erster Linie lieber selbst an der Macht bleiben möchte; andererseits, dass man im Grunde vor diesen Wählern keinen allzu großen Respekt hat: Denn wenn jemand einer Person oder Partei seine Stimme gegeben hat, dann signalisiert er ja letztlich, dass er durch diese Person oder Partei auch vertreten werden möchte. Und sei es nur aus Protest. (Wogegen übrigens?)

Was wollen die Wähler?

Häufig wird auch von einem Rechtsruck im politischen Spektrum gesprochen. Aber sind denn „rechts“ oder „links“ nicht definitionsgemäß relative Begriffe, die erst im Verhältnis zueinander Sinn ergeben? Bestimmen in der Demokratie nicht die Wähler, die Mehrheit, wo die Mitte liegt? Und wenn diese etwa in Österreich eben seit Jahrzehnten eigentlich immer Schwarz und Blau eine Mehrheit gegeben haben, dann könnte man sich ja auch einmal fragen: Was wollen diese Wähler – und warum? Wie können wir ihnen ein Angebot machen, das sie schwer ablehnen können? Also eher Selbsterkenntnis und Selbstkritik – statt noch mehr Vorwürfe und Schuldzuweisungen.

Und wenn wir sagen, die Demokratie sei in Gefahr: Wieso fürchten wir dann eigentlich die direkte Demokratie wie der Teufel das Weihwasser? Sehen wir vielleicht immer nur dann die Demokratie in Gefahr, wenn wir wieder einmal eine Wahl verloren haben? Sind gegnerische Politiker nicht vor allem dann „gefährlich“, wenn sie uns bei Wahlen Stimmen, Mandate – und nicht zuletzt auch, Geld aus der Parteienfinanzierung – wegnehmen?

Apropos Gefahr: Oft wirft man den politischen Gegnern auch vor, Angst zu schüren. Doch auch dadurch wird ja letztlich wieder Angst geschürt und instrumentalisiert – dann eben vor den Angstmachern. Auch dem könnte man nur dadurch begegnen, dass man wechselseitig berechtigte Sorgen anerkennt – jedoch der großen Versuchung widersteht, unbegründete Panik zu erzeugen. Überhaupt könnte ein Motto lauten: Differenzieren statt übertreiben.

Übertreibung – und immer noch mehr Übertreibung – scheint aber mehr denn je Programm zu sein. In jeder Hinsicht. Das muss leider in eine Eskalation führen. Wie im Krieg. Es wird immer stärker polarisiert – und dann die „Schuld“ für alles Unerwünschte auf die jeweils anderen geschoben. Das ist subjektiv sicher angenehm: Man fühlt sich im Recht; man hält sich für klüger; ja oft hält man sich sogar für einen besseren Menschen. Doch leider tut ja die Gegenseite genau das Gleiche. Und das führt dann dazu, dass kein einziger Konflikt, kein einziges Problem gelöst wird.

Wäre es nicht sinnvoller, sich realistische, vor allem aber auch wirklich wichtige Ziele zu setzen – und dann in konstruktiven Verhandlungen zu versuchen, zumindest einen Teil dieser Ziele auch zu erreichen? Sich vertragen heißt, Verträge zu schließen. Und dazu muss man vorher wissen, was man wirklich will, was erreichbar ist – und was man im Gegenzug bereit und fähig ist zu geben. Anstatt die nicht enden wollende Rechthaberei fortzusetzen, mit ständigen gegenseitigen Vorwürfen und Unterstellungen.

Wo ist die Meinungsfreiheit?

Und was die Freiheit betrifft: Haben wir etwa in Österreich eigentlich jemals eine wirklich „liberale“ Demokratie gehabt? Wie ist es um die Freiheit bestellt, etwa um die Meinungsfreiheit? In manchen Ländern darf man das eine sagen, in anderen Ländern dafür etwas anderes. Aber echte Meinungsfreiheit – wo gibt es die (noch)? Das Ziel sollte vielleicht sein, dass man eine „Kultur“ der freien Meinungsäußerung entwickelt: dass wir also manche Dinge einfach freiwillig nicht sagen; aus Empathie, Taktgefühl oder Gewissensgründen – aber eben nicht, weil es verboten ist. Denn der Reiz des Verbotenen bewirkt ja oft genau das Gegenteil dessen, was eigentlich erwünscht wäre.

Freiheit basiert auf Freiräumen. Und wenn jeder seine Freiräume immer zu hundert Prozent ausschöpft, dann gibt es immer weniger Freiheit. Auch eine paradoxe Situation. Freiheit sollte jedenfalls gesamthaft gesehen werden, als Prinzip. Als möglichst freies Spiel, möglichst aller Kräfte. Und da haben wir sicher noch Spielraum für Verbesserungen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der Autor

Christoph Bösch (*1962) ist freier Publizist in Wien. Studium der Wirtschaft. Seit den 1990er-Jahren setzt er sich für eine liberale Gesellschaft und einen demokratischen Staat in Österreich ein.

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