Interview

Landeshauptmann Christopher Drexler: „Es ist eine zentralistische Erzählung, dass die Länder das Geld vertranscheln“

„Hier braucht es keinen Zeigefinger der Bundesregierung“, so Drexler über Reformbereitschaft im Gesundheitswesen.
„Hier braucht es keinen Zeigefinger der Bundesregierung“, so Drexler über Reformbereitschaft im Gesundheitswesen. Aman Maller
  • Drucken

Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler über den Finanzausgleich, den demografischen Wandel und seine Auswirkungen auf die Wirtschaft sowie die Perspektiven für die nächste Bundesregierung.

Beim Finanzausgleich gibt es inzwischen eine vorläufige Einigung. Zuvor wurde jedoch monatelang zwischen Bund und Ländern gestritten. Steht dieser Prozess prototypisch für die Verfasstheit der Republik?

Christopher Drexler: Keinesfalls. Ich würde es auch anders beschreiben wollen. Es gab und gibt sehr tiefgründige Gespräche über eine möglichst faire Verteilung der gemeinschaftlichen Einnahmen. Und grundsätzlich ist das System des Finanzausgleiches auch sehr gut. Nämlich, dass die Einhebung der Steuern beim Bund konzentriert ist, aber alle Gebietskörperschaften nach ihren jeweiligen Aufgaben in die Lage versetzt werden sollen, diese Aufgaben auch zu leisten. Und das ist auch der Punkt. Denn es gibt hier ein Missverhältnis in der Aufteilung der Mittel. Denn gerade in den Bereichen, für die Länder und Gemeinden zuständig sind – also Gesundheit, Pflege und Elementarpädagogik – gibt es einen deutlichen Zuwachs der Kosten.

Derzeit wird vor allem über eine Veränderung der Verteilung gesprochen. Wäre auch eine grundsätzliche Veränderung der Aufgabenstruktur denkbar?

Das Bessere ist des Guten Feind. Aber ich glaube, dass so lebensnahe Themen wie Gesundheit oder Pflege gut bei den Ländern aufgehoben sind. Wenn man sich die Reformdynamik im Gesundheitsbereich an­sieht, dann traue ich mich zumindest für die Steiermark zu behaupten, dass wir ein sehr reformorientiertes Bundesland sind. Hier braucht es keinen Zeigefinger der Bundesregierung.

Gilt das auch für die Ländergrenzen, an denen es mitunter Doppelgleisigkeiten etwa bei Landeskrankenhäusern gibt?

Diese Doppelgleisigkeiten sind nicht so groß, wie sich das manche Zentralisten in Wien vorstellen. Es gibt hier oft sinnvolle Ergänzungen. Und Ländergrenzen sind in der Gesundheitsversorgung auch keine unüberbrück­bare Barriere. Es gibt also in der Regel eine gute Abstimmung. Diese kann hier und da ­sicherlich verbessert werden. Ich glaube aber nicht, dass dies das zentrale Problem in der österreichischen Gesundheitsversorgung ist.

Zurück zum Finanzausgleich. Zu diesem hat sich Ihr Kollege, der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, so geäußert, dass der Bund durch die Abschaffung der kalten Progression den Ländern „eigenmächtig“ Mittel entzogen habe, weil auch deren Anteile gesunken sind. Wie sehen Sie das?

Die Abschaffung der kalten Progression ist zuallererst einmal eine Großtat für die Bürgerinnen und Bürger. Wir haben in Österreich eine sehr hohe Abgaben- und Steuerquote. Dass natürlich ein guter Abgleich mit den Ländern und Gemeinden stattfinden sollte, wenn derartig nachhaltig in die Einnahmenstruktur eingegriffen wird, ist richtig. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass der Wiener Bürgermeister gegen die Abschaffung der kalten Progression gewesen ist.

Es gibt immer wieder den Vorschlag, dass man sich den Finanzausgleich sparen könnte, wenn die Länder – wie Kantone in der Schweiz – die Steuern für ihre Ausgaben selbst einheben.

Ich glaube nicht, dass ein Steuerwettbewerb unter den Ländern dazu angetan wäre, die Finanzierungssituation der notwendigen Aufgaben zu verbessern. Und ja, es gibt das Beispiel der Schweiz, aber auch jenes von Deutschland, das uns von der Struktur her ähnlicher ist und wo die Länder auch keine eigenen Steuern einheben.

Finanzminister Magnus Brunner hat es in einem Interview mit der „Presse“ als vorstellbar angesehen, dass es eigene Ländersteuern geben könnte. Als potenzielle Steuern dafür hat er die Grundsteuer oder die motorbezogene Versicherungssteuer genannt.

Gerade bei diesen zwei Steuern würde ein Wettbewerb zwischen den Ländern keinen großen Sinn stiften.

Es muss ja nicht um Wettbewerb gehen, sondern einfach nur um die eigene Verantwortlichkeit für die Eintreibung des benötigten Geldes.

Das finde ich originell. Denn der Föderalismus wird oft kritisiert, weil wir ohnehin ein kleines Land sind. Da haben wir nun im Bereich der Steuereinhebung ein einheitliches System, da sehe ich nicht unbedingt ein, dass man gerade das ändern sollte.

Das Argument lautet, dass durch die Zusammenführung von Einhebung der Steuern und Ausgabe ebendieser die Sparsamkeit höher würde.

Dem spricht klar entgegen, wenn man sich die Verschuldung der Gebietskörperschaften ansieht. Dort liegt der Hauptteil beim Bund. Es ist eine zentralistische Erzählung, dass der arme Bund die Steuern einheben muss und die Länder nichts anders zu tun haben, als das Geld zu vertranscheln. Das ist nicht der Fall. Denn es werden wesentliche Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger erbracht. Und das eigentlich in einem sehr sparsamen und effizienten Sinne. Ich bin daher für eine faire Verteilung und auf allen Ebenen für Sparsamkeit und Effizienz.

Ein Punkt, den der Rechnungshof immer wieder anspricht, ist das Thema Subventionen. Hier würde es vielfach Doppelförderungen geben, weil Bund, Länder und Gemeinden nicht genau wissen, was die anderen fördern.

Das ist auch Teil dieser zentralistischen Erzählung, dass die Länder eigentlich hauptsächlich als Förderungsgeber durch die Gegend spazieren würden. Es gibt unterschied­liche Rahmenbedingungen, wo man auch mit unterschiedlichen Förderkulissen reagieren kann. Im Übrigen: Wenn man jetzt gerade an die Wirtschaftsförderung oder Tourismusförderungen denkt. Diese sind ja ohnehin in einem relativ eng gezogenen europarechtlichen Rahmen.

Ein großes Thema, warum die Kosten bei den Ländern steigen, sind die Bereiche Gesundheit und Pflege. Das wird mit dem demografischen Wandel noch zunehmen. Soll dieses Thema weiterhin aus dem Steuertopf finanziert werden oder braucht man hier auch eine Art Pflegeversicherung?

Der ganze Pflegebereich hat insgesamt ein rasantes Wachstum der Ausgaben. Zum einen erklärt sich das durch den demografischen Wandel. Wir werden im Schnitt immer älter. Zum anderen dadurch, dass ja auch im Bereich der Pflege die Qualitätsstandards stets steigen. Ich bin seit jeher der Meinung, dass man die Pflegefinanzierung auf neue Beine stellen sollte. Ich kann mir daher eine Pflegeversicherung sehr gut vorstellen. Allerdings muss es auf der anderen Seite dann auch Entlastungen geben, damit es durch eine solche Versicherung nicht zu einer Erhöhung der Lohnnebenkosten kommt.

Bei der Pflege geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um die notwendigen Fachkräfte. Laut Schätzungen braucht es bis 2030 bundesweit 75.000 zusätzliche Betreuer und Betreuerinnen. Für die Steiermark wären das ungefähr 10.000. Woher sollen diese Personen kommen?

Der Fachkräftemangel trifft uns derzeit in allen Wirtschaftssektoren, nicht nur in der Pflege. Es braucht also einen qualifizierten Zuzug. Und im Bereich der Pflege kann ich mir durchaus vorstellen, dass Österreich in anderen Ländern entsprechende Schulen betreibt, um Leute, die für diesen Bereich nach Österreich kommen wollen, auch gleich entsprechend auszubilden.

Wo könnten diese Schulen entstehen?

Hier wäre beispielsweise der Westbalkan eine mögliche Herkunftsregion.

Der demografische Wandel betrifft Gesellschaft und Wirtschaft aber auch auf andere Weise. So sinkt die arbeitsfähige Bevölkerung. In der Steiermark soll diese bis 2040 um 70.000 Personen oder neun Prozent zurückgehen. Am Land soll auch die gesamte Bevölkerung um fünf Prozent schrumpfen. Was heißt das für Gebiete, die schon jetzt strukturell schwächer sind?

Das ist natürlich ein Problem, weil mitunter sogar Investitionen hintangehalten werden, weil man sich nicht sicher ist, ob man überhaupt noch die Arbeitskräfte findet, um eine neue Maschine zu bedienen. Es ist daher ein großes Ziel unserer Landesregierung, die Kluft zwischen einem ganz dynamischen Ballungsraum Graz und dem ländlichen Raum nicht zu groß werden zu lassen. Es soll also keine Steiermark der zwei Geschwindigkeiten geben. Ermöglicht werden soll das durch den Ausbau der Infrastruktur wie Breitband-Internet oder eine Wiederbelebung von Ortskernen. Und es wird auch hier einen qualifizierten Zuzug brauchen. Strikt zu unterscheiden von der illegalen Migration, die unter­bunden werden muss.

Stichwort Ortskerne. Die Steiermark ist sehr zersiedelt. Was Verkehr erzeugt und den Bodenverbrauch erhöht. Ist es sinnvoll, dass die Widmungskompetenz bei den Bürgermeistern liegt oder bräuchte es mehr Koordinierung?

Es gibt ja bereits eine übergeordnete Koordinierungsrolle des Landes. Und ich glaube auch, dass es ein böses Klischee ist, dass die Gemeinden hier nicht die notwendige Sensibilität hätten. Wenn ich außerdem mit Bürgermeistern spreche, dann habe ich nicht den Eindruck, dass diese das Gefühl haben, alles selbst entscheiden zu können. Sondern sie sehen eigentlich die Grenzen des Gesetzes sehr eng gezogen. Außerdem ist die Zersiedelung etwa in der Ost- und Südsteiermark keine Erfindung des 20. oder 21. Jahrhunderts, sondern das ist historisch aus der Grenzsituation dieses Raumes gewachsen.

»„In einem Land, das eine so hohe Steuer- und Abgabenquote hat, sollten wir nicht ständig über neue Steuern, sondern über Entlastungen nachdenken.“«

Aber wie kann man mit dieser Situation angesichts des notwendigen Kampfes gegen den Klimawandel im 21. Jahrhundert umgehen?

Der Klimaschutz ist sicherlich die große Herausforderung unserer Epoche. Aber es muss gelingen, Klimaschutz mit Wohlstand zu vereinbaren. Wir werden den Klimawandel nicht mit einer Verzichtsrhetorik aufhalten, sondern mit technologischem Wandel. Es braucht also Forschung und die Entwicklung neuer Technologien etwa bei Energieversorgung oder Mobilität. Wir werden den Klimaschutz nicht erfolgreich umsetzen können, wenn wir den Menschen sagen, sie dürfen kein Eigenheim mehr haben.

Nochmal zurück zum demografischen Wandel. Zusätzlich gibt es ja den Megatrend der Urbanisierung. Es gibt also Gebiete mit einer starken Abwanderung – etwa in Teilen der Ober­steiermark. Kann man die Strukturen wirklich so erhalten, wie sie jetzt sind?

Wir können und wollen ja keine Region der Steiermark aufgeben. Sondern es geht darum, dass wir den ländlichen Raum entsprechend entwickeln, dass auch künftig die Menschen dort eine Möglichkeit zum Leben finden. Beispielsweise über Telearbeit dank ausgebautem Breitband. Das wäre dann auch hinsichtlich des Klimaschutzes vorteilhaft.

Der Kampf gegen den Klimawandel war ja auch eines der Themen, die sich die türkis-grüne Bundesregierung in ihr Regierungsprogramm geschrieben hat. Wie zufrieden sind Sie ein Jahr vor der Wahl mit der bisherigen Leistung der Regierung?

Ich glaube, dass die Bundesregierung viel besser gearbeitet hat, als es ihr Ruf vermuten lässt. Man darf nicht vergessen: Das war eine Legislaturperiode mit ganz außergewöhnlichen Krisen, die ja nicht in Österreich entstanden sind. Eine Gesundheitskrise und ein Krieg in Europa, der zu massiver Inflation geführt und das Thema Versorgungssicherheit in den Blickpunkt gerückt hat. Grosso modo ist Österreich gut durch diese Krisen gekommen, und daher muss man sagen, dass die Bundesregierung nicht so eine schlechte Arbeit geleistet hat. Ich hoffe nun, dass sie auch im finalen Jahr der Legislaturperiode gute Beiträge dazu leisten wird, dass beispielsweise die wirtschaftliche Situation nicht so düster wird, wie es manche prophezeien.

Sie selbst waren ja eigentlich immer ein Befürworter einer Koalition von ÖVP und SPÖ. Auch für die Bundesebene. Gilt das mit dem neuen SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler immer noch?

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass wir eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der steirischen Sozialdemokratie haben. Und wenn ich mir das gesamte politische Spektrum ansehe, dann glaub ich, dass eine rot-schwarze oder schwarz-rote Zusammenarbeit eine gehörige Gestaltungskraft entwickeln kann. Daher halte ich eine solche Zusammenarbeit auch auf Bundesebene für wünschenswert. Und es ist klar, dass ein Parteivorsitzender, der in einem internen Wahlkampf gestanden ist und der sich jetzt in Opposition befindet, die eine oder andere zugespitzte Position einnimmt. Ich glaube aber, dass sich schlussendlich in der Sozialdemokratie die Vernunft durchsetzen wird.

Andreas Babler fordert sowohl eine Erbschafts- als auch eine Vermögenssteuer. Was ist das Maximum, wo die ÖVP mitgehen könnte?

Es war ein sozialdemokratischer Finanzminister, der die Vermögenssteuer zu Fall gebracht hat. Und ich glaube nicht, dass wir in einem Land, das eine sehr hohe Steuern- und Abgabenquote hat, permanent über neue Steuern nachdenken sollten. Wir sollten lieber über Entlastungen nachdenken.

Das ist jetzt keine Antwort auf meine Frage.

Man sollte Regierungsverhandlungen nicht durch zementierte Handlungen von vornherein verunmöglichen. Das gilt für hüben wie drüben.

Sie glauben, dass der SPÖ-Vorsitzende von dieser zentralen Forderung noch komplett abrücken würde?

Das kann ich nicht sagen. Aber er hat ja auch andere Forderungen, die meines Erachtens nicht besonders klug sind. Wie etwa am Höhepunkt des Arbeitskräftemangels eine Arbeitszeitverkürzung zu fordern.

Austria‘s Leading Companies Award

Das Interview wurde im Rahmen des Austria‘s Leading Companies Award geführt.

„Austria‘s Leading Companies“ wird von der „Presse“-Redaktion in voller Unabhängigkeit gestaltet und erscheint in Kooperation mit dem KSV1870 und PwC Österreich.

ALC wird unterstützt von A1, Casinos Austria, Commerzbank, Donau Versicherung und Wiener Städtische Versicherungsverein, Post AG, PSA, Škoda, TÜV Austria sowie MVG und Zero Project.

Zu allen Veranstaltungen: www.diepresse.com/alc

Zur Person

Christopher Drexler ist seit Juli 2022 Landeshauptmann der Steiermark. Zuvor war der ÖVP-Landeschef von 2003 bis 2014 Klubchef im Landtag, 2014 zog er erstmals in die Landesregierung ein, unter anderem war er für Gesundheit zuständig.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.