Sozialraum

Slums nicht mit dem Bulldozer planieren, sondern aufwerten

Informelle Siedlung in Neu-Delhi.
Informelle Siedlung in Neu-Delhi. Imago / Dts Nachrichtenagentur
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Damit sich ökonomisch schwache Menschen besser vor den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels wappnen können, braucht es in Städten eine Kombination aus besserer Infrastruktur und starken sozialen Netzwerken. Der Blick in den Globalen Süden kann hier Augen öffnen.

Wasser- und Energieversorgung, Kanalisation, Verkehrswege – eine Infrastruktur, die wie am Schnürchen läuft, ist Voraussetzung für das Funktionieren von Städten. Besonders in Krisensituationen. Nicht von ungefähr untersuchen viele Forschungsprojekte, wie diese „harte“ Infrastruktur verbessert werden kann, um urbane Gemeinschaften klimawandelfit zu machen. Doch das sei zu wenig, betont Tania Berger, die den Cluster für Sozialraumorientierte Bauforschung an der Uni für Weiterbildung Krems (UWK, vormals Donau-Uni) leitet.

Nachbarn und Nachbarinnen, die aufeinander schauen

„Es liegen mittlerweile Belege aus allen Weltregionen vor, dass gute soziale Netzwerke besonders in Krisenzeiten einen wesentlichen Beitrag zur Resilienz von Städten leisten“, erklärt sie. Die Architektin und Sozialwissenschaftlerin ist Mitherausgeberin eines Sammelbands, in dem Forschende aus den USA, aus Italien, Indien, Äthiopien, Deutschland und Bulgarien das Spannungsfeld zwischen „harter“ und „weicher“ Stadt beleuchten („Negotiating Resilience with Hard And Soft City“; Taylor & Francis, 2023 / Open Access). Weiche Faktoren nehmen Bezug auf soziale Interaktionen.

Sie seien nicht nur für das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger relevant, sondern könnten deren Überleben sichern, so Berger. „Studien zur Hitzewelle in Chicago (1995 starben innerhalb von fünf Tagen über 700 Menschen; Anm.) zeigen zum Beispiel, dass sozioökonomisch eher schwache Distrikte, von denen man erwarten würde, dass sie die gleichen Opferzahlen haben, diese Krise sehr unterschiedlich gemeistert haben“, sagt die Forscherin. „Bei genauerem Hinschauen hat man erkannt, dass das in erster Linie auf das Vorhanden- oder Nichtvorhandensein von sozialen Netzwerken zurückzuführen ist.“ Ob die Nachbarinnen und Nachbarn also aufeinander achtgegeben haben.

»Gute soziale Netzwerke machen im Katastrophenfall den Unterschied aus.«

Tania Berger

Sozialwissenschaftlerin und Architektin (UWK)

Eng verknüpft mit der Thematik ist die Leistbarkeit von Wohnraum, oder besser gesagt, dessen Unleistbarkeit. Einzelne Beiträge in dem Buch geben Einblicke in Regionen des Globalen Südens, die über viel Erfahrung mit prekärem Wohnen verfügen, wie Indien oder Äthiopien. „Ein Zugang war und ist leider, dass Slums, oder wie wir sie in der Forschung lieber nennen: informelle Siedlungen, dem Erdboden gleichgemacht werden“, bedauert Berger. „Das löst das Problem nicht, denn die Menschen können sich am formalen Wohnungsmarkt keine Wohnung leisten.“

Gerüstet gegen Hitze und Flut

Statt die Siedlungen sich selbst zu überlassen, würde der Ausbau der Infrastruktur im Katastrophenfall viel Leid ersparen. Doch Politik und Verwaltung würden sich in den meisten Fällen aus Prinzip dagegen verwehren, die ohne Baugenehmigung und Eigentumsrechte errichteten Hütten zu versorgen. Berger hält dagegen: „Es existieren genügend Erfolgsgeschichten von aus der Not heraus errichteten informellen Siedlungen, die nach und nach über Jahre und mehrere Ausbauschritte hinweg heute einen gewissen Lebensstandard ermöglichen.“

Eine Basisinfrastruktur (Wasser- und Stromversorgung) würde die Menschen zudem gegenüber Klimawandelfolgen – extremen Hitzewellen oder Überflutungen – widerstandsfähiger machen, wie in dem Sammelband argumentiert wird. Befestigte Straßen wiederum würden Rettungseinsätze im Katastrophenfall erleichtern.

Von dieser Sichtweise können auch europäische Städte lernen, ist Berger sicher. „Natürlich gibt es bei uns nichts, was wir als Slums bezeichnen würden, aber es gibt prekäre Wohnverhältnisse sowie die Situation, dass manche soziale Gruppen – nämlich gerade die, die am wenigsten zu Ressourcenverbrauch und CO2-Emissoinen beitragen – im städtischen Bereich dort wohnen, wo die Schadstoffbelastung am größten und die Bebauungsdichte am höchsten ist.“ Sie wären der Hitze im Sommer besonders ausgesetzt.

Weniger Grünräume, schlechte Bausubstanz und Dämmung sowie fehlende Beschattung tragen das Ihre dazu bei. Hier sei die öffentliche Hand ebenso gefragt, die Infrastruktur und damit die Widerstandsfähigkeit sowie Anpassungsfähigkeit der Betroffenen zu verbessern.

Binti Singh, Tania Berger, Manoj Parmar (Hg.)
Negotiating Resilience with Hard And Soft City“
Verlag Taylor & Francis
208 Seiten, 52,99 Euro
E-Book: Open Access

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