Die Ich-Pleite

Von Rubiales bis Kleist

Carolina Frank
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Es ist aus der Mode gekommen, Dinge von zwei Seiten zu sehen oder gar von mehreren zu beleuchten.

Beim spanischen Fußballfunktionär Luis Rubiales bin ich auch eine, die keine Lust hat, ihn mit mildernden Umständen auszustatten. Dafür erinnert mich diese Bussischleuder viel zu sehr an die stets busselbereiten Skilehrer meiner Kindheit. Mein Ferienjob als fünfzehnjährige Hüttenkellnerin dauerte genau einen halben Tag. Es ist zwar einfach, einen Mann zu ohrfeigen, der nur eine Hand frei hat, aber man hat schließlich im Leben noch etwas anders zu tun. Und so erinnert mich dieser Rubiales, der von Gran Canaria stammt, ausgerechnet an einen Sport, von dem er vermutlich wenig Ahnung hat.

Gemeinsam haben die Buben eben nur das eine, für das ihnen schon längst die Rechnung gebührt. Andererseits. Wir haben Rubiales auch etwas zu verdanken. Er hat uns den Begriff „Kussskandal“ geschenkt. Und so komme ich zur guten Seite, denn der „Kussskandal“ hat mich an Heinrich von Kleist ­erinnert. Und ich habe mich wieder einmal hingesetzt und die Geschichte über die Marquise von O. gelesen. Diese wird in der Ohnmacht geschwängert, heiratet später aber doch den Vergewaltiger, weil es ihm leidtut und alle finden, dass er ein ziemlich netter Vergewaltiger ist.

Wahrscheinlich haben die Deutschlehrerinnen es nicht ganz leicht mit den heutigen Schülerinnen, wenn sie ihnen dieses Stück Weltliteratur nahebringen sollen. Allzu gut kommt der Unhold davon. Aber froh bin ich doch, dass es noch nicht so weit ist, dass die Novelle verboten ist oder umgeschrieben werden muss. Richtig wundern wird es mich zwar nicht, wenn jemand den „Kleistskandal“ vom Zaun bricht, aber bis dahin ruhe ich mich noch beim „Kussskandal“ aus. (Die Presse Schaufenster, 13.10.2023)

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