Prozesstag 1

Kurz-Prozess beginnt mit „Screenshot-Fehler“ der WKStA und einer Diversion für Glatz-Kremsner

Sebastian Kurz vor Prozessbeginn
Sebastian Kurz vor ProzessbeginnReuters / Leonhard Foeger
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Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seinem früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli wird Falschaussage zur Last gelegt. Beide plädieren auf nicht schuldig. Ex-Casinos-Chefin Bettina Glatz-Kremsner war ebenfalls angeklagt - für sie endete der Prozess aber gleich am ersten Tag mit einer Diversion. „Die Presse“ berichtete live aus dem Gericht.

Am ersten Verhandlungstag im Prozess gegen den früheren Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), seinen Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine einstige Vize-Bundesparteichefin und frühere Casinos-Generaldirektorin Bettina Glatz-Kremsner wegen des Verdachts auf falsche Beweisaussage, wurden am Mittwoch heftige Vorwürfe gegen Richter Michael Radasztics sowie die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) erhoben sowie Fehler in der Anklage wie auch in so mancher Aussage eingeräumt. Und: Die Zahl der Angeklagten änderte sich. Glatz-Kremsner wurde eine Diversion angeboten, Kurz und Bonelli wird am Freitag weiter der Prozess gemacht. Beide plädieren, wie zuvor auch Glatz-Kremsner, auf „nicht schuldig“. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Zunächst begann der Tag im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts mit dem Vorwurf von Kurz-Verteidiger Otto Dietrich, Richter Radasztics sei nicht objektiv. Denn, noch als Staatsanwalt (Radasztics ist erst seit Jänner 2023 als Richter tätig) mit dem früheren Grünen-Politiker Peter Pilz Kontakt gehabt – einem offenkundigen Gegner von Kurz, der ein Buch gegen den Ex-Kanzler geschrieben und einst auch einen Misstrauensantrag gegen ihn eingebacht hatte. Der Richter wies den Antrag, ihn an der Verfahrensspitze zu ersetzen, letztlich selbst ab. Die Begründung: Jeder habe in seinem Umfeld Freunde und Bekannte, die Meinungen hätten. Aber: Diese Meinungen interessierten ihn nicht. Und: Diese Meinungshabenden würde hier ja auch nicht entscheiden, sondern er alleine. Im Übrigen sei er mit Pilz auch nicht befreundet, sondern habe ihn in der Eurofighter-Affäre als Zeuge einvernommen.

Als nächstes an der Reihe war die Abfrage der Personaldaten der Angeklagten. Glatz-Kremsner gab an, Pensionistin zu sein, Kurz Unternehmer und Bonelli Geschäftsführer. Über ihre Finanzen wollte keiner von ihnen ein Wort verlieren.

Kurz im „Argumentationsspagat“

Punkt Nummer drei war der Vortrag der Anklage, abwechselnd vorgetragen von den Oberstaatsanwälten Gregor Adamovic und Roland Koch. Sie trugen vor, dass alle Angeklagten versichert hätten, 2020 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss wahrheitsgemäß ausgesagt zu haben (Glatz-Kremsner zusätzlich auch in einem Ermittlungsverfahren). Alle hätten ihre Rolle heruntergespielt, so die Ankläger – Kurz und Bonelli in Zusammenhang mit Postenvergaben bei der Staatsholding Öbag, Glatz-Kremsner rund um ihr Agieren im Vorfeld der Vorstandsbestellung bei der Casinos Austria AG, kurz Casag, im März 2019.

Bei Kurz, so die Ankläger, komme es deswegen in seiner Verteidigungslinie zu einem „Argumentationsspagat“. Denn: Mit dem einen Bein stehe er auf dem Punkt, er habe stets die Wahrheit gesagt, mit dem anderen Bein poche er auf einen Aussagenotstand, in dem er sich befunden habe. Soll heißen: Er habe falsch ausgesagt, um einer strafrechtlichen Verfolgung zu entgehen. Das passe nicht zusammen, meinten Koch und Adamovic. Sie gehen vielmehr davon aus, dass Kurz „politische Nachteile für sich und seine neue ÖVP abwenden wollte“, er habe also aus politischen, nicht aus juristischen Motiven heraus die Unwahrheit gesagt. Konkret: Die Wahrheit „stand mit dem von Kurz propagierten ‚neuen Stil‘ in diametralen Widerspruch“.

„Screenshot-Fehler“ in der Anklage

Dietrich wies das wiederum zurück: Die Aussagen von Kurz im U-Ausschuss seien richtig gewesen, sofern die Fragen verständlich gewesen seien. Allerdings: Die WKStA habe seine Sätze dann hergenommen und interpretiert. Was daraus geworden sei, lasse sich wie folgt zusammenfassen: „Lost in translation.“

Noch deutlicher wurde Bonellis Anwalt, Werner Suppan: Er kreidete der WKStA an, lediglich dem früheren Öbag-Alleinvorstand Thomas Schmid zu glauben, alle übrigen Zeugen als eine Art „loyale Lügner“ anzusehen. Besonders perfide finde er aber, so führte er weiter aus, dass die WKStA den ehemaligen ÖVP-Finanzministern Hartwig Löger und Gernot Blümel unterstelle, wortgleich falsch ausgesagt zu haben, tatsächlich habe aber die WKStA Fehler gemacht: „Das ist ein Fake – der Strafantrag ist ein Falschantrag.“ Aussagen von Blümel seien in das Protokoll von Löger „hineingeschnipselt worden“. Die Oberstaatsanwälte räumten daraufhin ein, tatsächlich einen „Screenshot-Fehler“ im Strafantrag gemacht zu haben, allerdings: Sowohl Löger als auch Blümel hätten in ihren Aussagen das Wort „absurd“ verwendet, daher sei die Aussage als deckungsgleich zu werten.

Diversion für Glatz-Kremsner

Zum Abschluss des ersten Verhandlungstages dann die wohl größte Überraschung: Glatz-Kremsner wurde einvernommen und räumte ein, sich 2020 nicht ausreichend auf ihre Einvernahme vor der WKStA sowie ihre Befragung im U-Ausschuss vorbereitet zu haben. Damals seien die Casinos in Turbulenzen gewesen – erst aufgrund des Ibiza-Videos und Vorwürfen des Postenschachers, dann aufgrund der Coronapandemie. Sie habe daher einige Chatnachrichten nicht im Kopf gehabt und sie habe ihre Rolle klein geredet, da sie nicht noch mehr negative Schlagzeilen produzieren wollte. Nicht antworten wollte sie am Mittwoch dann auch auf Fragen der Oberstaatsanwälte. Auf die Frage des Richters, ob sie mit einer Diversion im Sinne einer Geldbuße einverstanden wäre („das bedeutet nicht, dass man sich freikaufen kann“), antwortete sie sehr wohl: „Ja.“

Die Folge: Kurz und Bonelli werden am Freitag ab 9:30 Uhr wieder im Gericht Platz nehmen müssen. Glatz-Kremsner wird nicht mehr dabei sein. Obwohl die WKStA eine Diversion aus Gründen der Generalprävention ablehnte, gestand sie der 61-jährigen Ex-Managerin zu, dass diese „im Rahmen des ihr Möglichen einen Akt der Umkehr“ vollzogen habe. Das Ergebnis: Glatz-Kremsner muss eine Geldbuße in Höhe von 104.060 Euro plus Pauschalkosten begleichen und entgeht damit einer formellen Verurteilung.

Damit Ihnen nichts entgeht, liebe Leserinnen und Leser, finden Sie im Folgenden den Liveticker zum Nachlesen – am Freitag wird dann ab 9:30 Uhr wieder frisch getippt. Ich freue mich, wenn Sie wieder dabei sind.

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