Der ökonomische Blick

Bablers 32-Stunden-Woche: Radikale Forderung oder kein Grund zur Aufregung?

Die Forderung von Andreas Babler, die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 32 Stunden zu reduzieren, hat Aufsehen erregt.
Die Forderung von Andreas Babler, die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 32 Stunden zu reduzieren, hat Aufsehen erregt.APA / APA / Georg Hochmuth
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Bablers Forderung hat Aufsehen erregt und war radikal, sie stieß auf sofortige Ablehnung der Wirtschaftskammer und damit der ÖVP. Tatsächlich geht die Arbeitszeit in Österreich aber seit Jahrzehnten zurück.

Die Forderung von Andreas Babler, die Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 32 Stunden zu reduzieren, hat Aufsehen erregt. Sie war radikal. Sie stieß auf sofortige Ablehnung der Wirtschaftskammer und damit der ÖVP. Der nicht zu bestreitende Mangel an Arbeitskräften würde dadurch vergrößert und die wirtschaftliche Entwicklung gefährdet werden. Der ÖGB hat daraufhin die Langfristigkeit dieses Ziels betont und darauf hingewiesen, dass schon jetzt viele Kollektivverträge eine geringere Wochenarbeitszeit vorsehen. Es gäbe daher keinen Grund zur Aufregung.

Tatsächlich geht in Österreich seit Jahrzehnten die Arbeitszeit als Anteil an der Lebenszeit langsam zurück. Die Wochenarbeitszeit wurde mehrfach im Wege des Gesetzes, in Kollektivverträgen und in Betriebsvereinbarungen gesenkt. Die Anzahl der Wochen, in denen gearbeitet wird, wurde durch Verlängerung des Urlaubs reduziert. Durch die Verlängerung der Ausbildung und die Erhöhung der Lebenserwartung sank der Anteil der Jahre mit Arbeit an den Lebensjahren. Dass Österreich dabei verarmt sei, kann nicht behauptet werden. Es gibt keinen Grund, warum das nicht weithin der Fall sein kann.

Was ist „Der ökonomische Blick“?

Jede Woche gestaltet die Nationalökonomische Gesellschaft (NOeG) in Kooperation mit der „Presse“ einen Blogbeitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften. Dieser Beitrag ist auch Teil des Defacto Blogs der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Central European University (CEU). Die CEU ist seit 2019 in Wien ansässig.

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Verkürzte Arbeitszeiten bringen auch Probleme

Daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass eine Arbeitszeitverkürzung nicht doch Probleme bringt. Es geht dabei um die Produktivität und wie sie gemessen werden kann. Im marktwirtschaftlichen Sektor ist alles einfach. Wenn ein Unternehmen bei konstanter Beschäftigung mehr produzieren und verkaufen kann, dann ist die Produktivität gestiegen. Die Produktivität ist aber auch gestiegen, wenn ein Unternehmen die Preise erhöht und dennoch die gleiche Menge verkaufen kann. Den Konsumenten ist das entsprechende Produkt mehr wert – sei es in Folge geschickter Werbung oder wegen einer wirklichen Verbesserung des Produkts. Zentral ist hier, dass im marktwirtschaftlichen Sektor Preise zur Bewertung der Produktivität herangezogen werden können.  

Für den öffentlichen Bereich gilt diese Überlegung nicht. Die Leistungen des Staates werden nicht verkauft, sondern zur Verfügung gestellt, manchmal auch aufgezwungen – etwa im Fall der Schulpflicht. Zwar wird die Wertschöpfung auch durch die Löhne gemessen, das ist aber im öffentlichen Sektor kein Maß für die Produktivität. Wenn es dem Staat gelingt, durch bessere Organisation und technischen Fortschritt die gleichen Leistungen mit weniger Arbeitskräften zu bringen, dann sinkt die staatliche Wertschöpfung. Steigen die Löhne im staatlichen Sektor, so steigt die Wertschöpfung des Staates, unabhängig davon, ob die Qualität dieser Leistungen besser geworden ist. Die Produktivität der Arbeit allein aus den Daten der VGR zu bestimmen, ist daher nicht sinnvoll für den öffentlichen Sektor. Wenn eine Supermarktkette Selbstbedienungskassen einführt, kann sie billiger werden. Manchen wird das nicht gefallen, aber es ist nicht unsinnig zu sagen, dass die verbliebenen Arbeitskräfte produktiver geworden sind. Es wäre aber ein Unsinn, wenn man eine Vergrößerung von Schulklassen als eine höhere Produktivität der Lehrenden sehen würde.  

Das gilt nicht nur für die staatliche Produktion im engeren Sinn, sondern auch für die vom Staat durch private Produzenten zur Verfügung gestellte Leistungen, etwa der öffentliche Verkehr durch Privatbetriebe. Auch die medizinische Betreuung durch niedergelassene Ärzte gehört dazu. Sie sind nicht produktiver, wenn sie mehr Patienten haben und daher weniger Zeit für die Einzelnen. Der entscheidende Punkt ist, dass im marktwirtschaftlichen Bereich eine Kaufentscheidung für ein Produkt oder für eine Leistung eine Bewertung in Geldeinheiten für das Gut ist. Für die von staatlichen Institutionen angebotenen Leistungen gilt das nicht.  

Der öffentliche Sektor darf nicht auf der Strecke bleiben

Auch die Verteilungskonflikte, die mit einer Produktivitätssteigerung verbunden sind, stellen sich im marktwirtschaftlichen und im öffentlichen Sektor unterschiedlich dar: Wenn es einem Unternehmen gelingt, die Produktivität zu erhöhen, dann können dessen Gewinne steigen. In der Folge könnten die Arbeitskräfte in diesem Unternehmen höhere Löhne erstreiten. Es gibt Verteilungskonflikte zwischen Löhnen und Gewinnen um die Aufteilung des Anstieges der Produktivität. Im öffentlichen Bereich gibt es keine Profite. Also gibt es keinen Verteilungskonflikt zwischen Arbeitskräften und dem Staat als Arbeitgeber. Es gibt aber einen anderen Verteilungskonflikt, nämlich den zwischen den Produzenten der staatlichen Leistungen und den Steuerzahlern.

Für die Probleme der Verkürzung der Arbeitszeit hat das erhebliche Auswirkungen. Im marktwirtschaftlichen Sektor kann ein Anstieg der Produktivität nicht nur zu einer Erhöhung von Gewinnen und/oder Löhnen genutzt werden, sondern auch zu einer Verkürzung der Arbeitszeit (bei vollem Lohnausgleich). Ein Unternehmen kann die Kosten einer Verkürzung der Arbeitszeit berechnen und entsprechende Maßnahmen treffen – Preise erhöhen, das Angebot senken, die Produktionstechnologien verändern, die Produktivität weiter erhöhen usw. Das ist das normale Geschehen in einer wachsenden Wirtschaft. Es gibt mehr Güter und die Freizeit wächst. Bei der Produktion der öffentlich angebotenen Güter geht das kaum. Oder soll die Gemeinde Wien die Intervalle im öffentlichen Verkehr vergrößern, weil ihr in Folge einer Arbeitszeitverkürzung weniger Arbeitsstunden zur Verfügung stehen? Sie kann Gebühren und Steuern erhöhen, um zusätzliche Beschäftigte einzustellen. Aber das ist eine politische Entscheidung und nicht eine im System der Marktwirtschaft.  

Eine Verkürzung der Arbeitszeit mit Lohnausgleich nur im marktwirtschaftlichen Bereich ist jedenfalls nicht möglich. Sie würde zu einer Abwanderung von Arbeitskräften aus dem öffentlichen Bereich führen.

Wir sind sicher, dass auch im öffentlichen Bereich durch organisatorische Reformen und technischen Fortschritt die für die Erbringung der Leistungen notwendige Arbeit reduziert werden kann. Aber in vielen Bereichen des öffentlichen Sektors werden mehr Arbeitskräfte benötigt und auch versprochen – Ausbau der Kinderbetreuung, der Schulen, der Pflege, der Sicherheit, des öffentlichen Verkehrs usw. Das ist kein Argument gegen jegliche Verkürzung der Arbeitszeit. Aber das hier aufgezeigte Problem muss beachtet werden. 

Die Autor:innen

Ingrid Kubin
Ingrid Kubinprivat
Peter Rosner
Peter Rosnerprivat

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