Diplomatie

Schengen-Veto als Konfliktpunkt: Bulgarischer Premier Denkow besucht Nehammer

Anfang Oktober war Nikolaj Denkow, Ministerpräsident von Bulgarien, in Berlin bei Olaf Scholz zu Gast.
Anfang Oktober war Nikolaj Denkow, Ministerpräsident von Bulgarien, in Berlin bei Olaf Scholz zu Gast.Imago / M. Popow
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Der pro-westliche Regierungschef argumentiert damit, dass sich die Außengrenze bei einer Schengen-Mitgliedschaft besser schützen lasse. Er hofft auf eine Entscheidung beim EU-Gipfel im Dezember. In Wien steht auch ein Treffen mit IV-Chef Knill auf dem Programm.

Vier Monate nach seinem Amtsantritt kommt Bulgariens Ministerpräsident Nikolaj Denkow am Dienstag erstmals nach Österreich. Mit einem Durchbruch im Streit um den Schengen-Beitritt seines Landes rechnet er nicht. „Wir erwarten heute keine Antwort von Österreich“, sagte Denkow am Dienstag bei seiner Abreise in Sofia nach Angaben der Nachrichtenagentur BTA. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wollte seinen Amtskollegen am Nachmittag im Bundeskanzleramt empfangen.

Der Hauptzweck der Visite sei, „der österreichischen Gesellschaft und den Politikern zu erklären, dass es für die Österreicher besser wäre, wenn Bulgarien und Rumänien dem Schengen-Raum angehören würden“, sagte Denkow. Er wiederholte in diesem Zusammenhang jene Argumente, die zuvor sein Vorgänger Kiril Petkow in einem Gastkommentar für die Tageszeitung „Der Standard“ (Montagsausgabe) genannt hatte: Besserer Schutz der EU-Außengrenze durch Verlagerung von Grenzschutzbeamten, geringere Nahrungsmittelpreise und größere Energiesicherheit.

„Der Ausschluss Bulgariens und Rumäniens aus dem Schengen-Raum schadet den bulgarischen und rumänischen Bürgern, aber auch den Bürgern anderer Staaten“, betonte Denkow. Er hoffe diesbezüglich auf eine „endgültige Entscheidung“ beim EU-Gipfel im Dezember.

Österreichs Problem mit Migration habe nichts mit Bulgariens Grenzen zu tun

Denkow äußerte Verständnis für das österreichische Migrationsproblem. Die hohe Zahl irregulärer Migranten sei „problematisch“ für Österreich, sagte er. „Ich kann aber aus Überzeugung sagen, dass wir für Österreich kein Problem sind, was Migranten betrifft.“ Schließlich kämen „nur äußerst wenige“ der in Österreich aufgegriffenen Migranten über Bulgarien. „Unseren Schätzungen zufolge sind es etwa zwei Prozent“, sagte er.

Österreich hat sich im vergangenen Dezember gegen den Beitritt von Rumänien und Bulgarien zum Schengen-Raum gestellt und auf die hohe Zahl von irregulären Migranten auf der Balkanroute verwiesen. An dieser Position will Wien festhalten, solange der Schutz der EU-Außengrenze aus seiner Sicht mangelhaft ist. Aus Sofia hieß es am Montag, dass heuer um 40 Prozent mehr Migranten an der Reise in Richtung Westeuropa gehindert worden seien als im Vorjahr. „Praktisch keine Migranten“ würden mehr die bulgarisch-serbische Grenze erreichen, betonte Innenminister Kalin Stojanow.

Treffen auch mit Industriellenvereinigung

Der bulgarische Regierungschef will in Wien auch den Präsidenten der Industriellenvereinigung (IV), Georg Knill, treffen. Denkow wies darauf hin, dass die österreichische Wirtschaft in seinem Land „gut vertreten“ und inoffiziellen Angaben sogar der wichtigste Investor sei. Unter den Schwierigkeiten beim Warentransport würden auch die bulgarischen Töchter von österreichischen Unternehmen „leiden“. Geplant ist auch ein Treffen mit führenden Nationalratsabgeordneten. Nach offiziellen Angaben der Wirtschaftskammer (WKÖ) lag Österreich in Bulgarien im ersten Quartal 2023 hinter den Niederlanden auf Platz zwei der Auslandsinvestoren.

Ex-Premier Petkow hielt Österreich vor, aus „Angst vor nationalistisch-populistischer Rhetorik“ gegen die eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen zu handeln. Die Grenzkontrollen zwischen Bulgarien und Rumänien würden tagelange Lkw-Staus und entsprechend hohe Logistikkosten bei Weizen, Öl, Obst oder Gemüse für den österreichischen Markt verursachen, schrieb der Mitstreiter des aktuellen Regierungschefs in seinem „Standard“-Kommentar. „Die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengen-Raum ist der einfachste Weg, um die Lebensmittelpreise und die Inflation in Österreich unmittelbar zu beeinflussen“, so Petkow.

Bulgarien lockt mit Gas

Zudem können die beiden Schengen-Anwärter Österreich alternative Gasquellen eröffnen, argumentierte der Ex-Premier. Rumänisches Schwarzmeer-Gas könne über die bulgarische Turkish-Stream-Pipeline nach Österreich transportiert werden, das dann nicht mehr so stark von russischen Erdgaslieferungen abhängig wäre. „In einem Jahr, in dem Österreich seine Freunde am meisten braucht, muss es sich entscheiden, ob es sie mit falscher nationalistischer Rhetorik verprellt oder zusammenarbeitet, um alternative Gaslieferungen zu den geringstmöglichen Kosten zu sichern“, argumentierte der frühere Regierungschef, dessen Partei „Wandel fortgesetzt“ (PP) gemeinsam mit der konservativen Partei GERB die neue pro-westliche Regierung in Sofia trägt. (APA)

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