Musik

Künstliche Intelligenz im Pop: Schreib mir einen Song im Stil von Drake

Leo Scheichenost (Zweiter v. l.) und die Band Bon Jour wurden ganz ohne KI in Salzburg fotografiert.
Leo Scheichenost (Zweiter v. l.) und die Band Bon Jour wurden ganz ohne KI in Salzburg fotografiert.Guenter Freund
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Ersetzt künstliche Intelligenz bald den Popstar, oder ist sie ein gutes Tool, um mit wenig Kostenaufwand Musik zu machen? Die Band Bon Jour nimmt die Sache locker.

Leo Scheichenost sitzt am Handy und scrollt von einem schönen Bild zum nächsten. Er ist auf der Suche nach einem ansprechenden Hintergrund für Fotos mit seiner Band Bon Jour. Die lässt er mithilfe von stichwortartigen Befehlen von einer künstlichen Intelligenz, dem Programm Midjourney, generieren. Die übersetzten Suchbegriffe lauten etwa: „Gruppe von sieben Personen, moderne Street-Style-Outfits, mittags, Kodak Gold 200, niedrige Sättigung, vor einer bunten Klinik, Architekturmagazin 4:3.“

Das Programm spuckt daraufhin Bilder aus, die allesamt das Ergebnis einer teuren Werbekampagne gängiger Modemarken oder Konzertankündigungen größerer Acts sein könnten. Per Photoshop müsste Scheichenost nur noch die richtigen Menschen in das Bild retuschieren, und fertig wäre das Bandsujet. Mit seinem Bruder und seinem besten Freund führt er das Designstudio HFA in der Burggasse. Die Affinität zu visueller Gestaltung ist also gegeben. Als generative KI-Anwendungen wie Midjourney, Dall-E und Chat GPT aufpoppten, begann er zu experimentieren. Und er war nicht der Einzige.

Im April veröffentlichte ein TikTok-Nutzer mit dem klingenden Namen Ghost­writer977 den Song „Heart on My Sleeve“. Zu hören waren zwei der erfolgreichsten Musiker weltweit, die kanadischen Künstler Drake und The Weeknd. Nur hatte keiner von beiden die Zeilen dazu je gesungen. Text, Stimmen und Musik waren computergeneriert. Eine künstliche Intelligenz hatte auf Daten ihrer jeweiligen Werke zugegriffen, dadurch in kürzester Zeit gelernt, wie die beiden Künstler mit Musik umgehen, und so ihren Stil nachgeahmt. So gut, dass die riesige Produktionsfirma Universal Music sich veranlasst sah, ihre Muskeln spielen und das Lied offline nehmen zu lassen. Innerhalb kürzester Zeit war „Heart on My Sleeve“ 600.000 Mal über den Streamingdienst Spotify angehört worden, Passagen aus dem Song wurden 15 Millionen Mal auf dem Social-Media-Portal TikTok angesehen.

»Aufhalten kann man die Veränderung nicht. Bevor man zurückschreckt, sollte man lieber schauen, welchen Nutzen man daraus ziehen kann.«

Leo Scheichenost

Gründer der Band Bon Jour

Es war der Moment, der für die Musik­industrie erstmals augenscheinlich machte, wie künstliche Intelligenz die Branche verändern könnte. Abermals ist eine technologische Neuerung den adäquaten rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen vorausgeeilt. Denn was, wenn keine riesige Produktionsfirma erwirken kann, dass Fake-Songs gelöscht werden? Hat ein Künstler die Rechte an seiner eigenen Stimme? Wer hat die Rechte an den Liedern, die nicht von menschlicher, sondern künstlicher Intelligenz verfasst werden? Müssten die AI-Firmen nicht eigentlich den Musikern, auf deren bereits bestehende Songs sie zugreifen, diese Leistung abgelten? Die dabei entstehenden Lieder kommen den Originalen so nahe, dass sie den Markt verfälschen könnten.

Einige wenige Künstlerinnen begegnen der Veränderung trotzdem mit offenen Armen. Die kanadische Pop- und Elektronikmusikerin Grimes etwa stellte der Öffentlichkeit im Mai ihre Stimme zur Verfügung. Die Sängerin ist schon länger bekannt für ihre Experimentierfreudigkeit und ihre technologische Affinität, sie kreierte einen Grimes-Chatbot, ein KI-Schlaflied oder KI-Effekte für ihre Bühnenshows. Vergangenen Mai veröffentlichte sie ein Programm, mit dem eingesprochene und eingesungene Texte mittels KI mit ihrer Stimme wiedergegeben werden können. Derart kreierte Lieder dürfen veröffentlicht werden, die Produzenten müssen Grimes allerdings als Mitwirkende anführen und 50 Prozent der Tantiemen mit ihr teilen. Via Twitter vertrat die Künstlerin umstrittene Standpunkte zum Thema: Am liebsten würde sie das Copyright-System abschaffen und jegliche Kunst in Form von Open Source jedem zugänglich machen, meinte sie da sinngemäß. Andere etablierte Künstler experimentieren etwas verhaltener mit künstlicher Intelligenz. David Guetta eröffnete ein Live-DJ-Set etwa mit KI-generierten Strophen im Stil von Eminem, der deutsche Popmusiker Cro veröffentlichte ein von KI-Künstlern kreiertes Musikvideo.

Ein praktisches Tool

„Aufhalten kann man die Veränderung sowieso nicht. Deshalb denke ich mir: Bevor man davor zurückschreckt, schaue ich mir lieber an, welchen Nutzen ich daraus ziehen kann“, sagt Leo Scheichenost von der jungen Wiener Alternative-Rock-Band Bon Jour. Entstanden ist die Band vor gut einem Jahr, im November erscheint das Debütalbum „Chapter 1: Growth“. Letztes Jahr eröffnete die Gruppe für die englische Indie-Rockband Alt-J, heuer tourte sie als Vorband mit der deutschen Folk-Pop-Gruppe Bukahara. Einige der Musiker sind aus anderen Formationen bekannt, was der Band das vollmundige Attribut der „Supergroup“ eintrug. So waren Mario und Giovanna Fartacek von Mynth auch Gründungsmitglieder von Bon Jour, später kamen noch Dodo Muhrer von The Makemakes, Omar Abdalla von den Siamese Elephants und Julian Pieber von Paul Plut sowie Sängerin Amelie Tobien hinzu.

»Beim Musizieren schwingt dann
doch viel Persönlichkeit mit, jeder spielt das gleiche Gitarrenriff
ein wenig anders. Das lässt sich
nicht messen oder beschreiben,
es ist einfach menschlich.«

Von Anfang an nutzte die Band künstliche Intelligenz als Hilfstool in der Gestaltung. So besteht das psychedelische Musikvideo zu ihrer Single „All I Know“ aus zusammengeschnittenen, KI-generierten Videosequenzen. Da verformen sich illustrierte Gesichter zu Landschaften und sausen in lilafarbenen Tunneln durch den Weltraum. Die visuellen Effekte, die die Band bei Liveshows auf LED-Wänden zeigt, sind ebenso KI-generiert. Nur bei der Musik wollen Bon Jour fürs Erste noch analog bleiben: „Da schwingt dann doch viel Persönlichkeit mit, jeder spielt das gleiche Gitarrenriff ein wenig anders. Das lässt sich nicht messen oder beschreiben, es ist einfach menschlich“, meint Scheichenost. Außerdem gehe es ihnen ja um das gemeinsame Musizieren. Die KI könne ihnen allerdings viele Nebensächlichkeiten erleichtern. Die Produktion eines Musikvideos ist für junge Bands ein großer zeitlicher und finanzieller Aufwand. Ihr KI-Video kostete die Band keine 50 Euro – die Gebühr für die Nutzung des Programms. Und natürlich Zeit, die Scheichenost investiert hat. Ganz so einfach ist es nicht, die richtigen „Prompts“ – also Befehle – zu finden, mit denen man das KI-Programm füttern muss, um zum gewünschten Ergebnis zu kommen. „Das Ganze bekommt anfangs schnell einmal eine trashige Science-Fiction-Optik“, meint Scheichenost. Trotzdem wird die Produktion für Neueinsteiger so erschwinglich.

Für Einsteiger

Gleichzeitig hat Scheichenost im Pingpong mit der KI PR-Texte erstellt, ein Papier zur strategischen Positionierung der Band, eine Content-Strategie. Chat GPT schlug Texte vor und lieferte Ideen, Scheichenost elaborierte und adaptierte. Spätestens da merkt man dem Salzburger seinen Hintergrund in der Werbebranche an. Überhaupt beseitige die KI Barrieren: „Wenn ich als Sänger am Anfang stehe und nur Musik brauche, um meine Stimme darüberzulegen, kann mir die KI helfen. Oder umgekehrt: Eine Band, der die Sängerin vielleicht noch fehlt, kann trotzdem schon Aufnahmen mithilfe der KI tätigen“, sagt Scheichenost. Vor allem für Bands, die sich noch kein Management oder Produktionsstudio leisten können, ist das ein Vorteil. Etablierte Künstler haben die Wahl: Entweder sie machen aus der Technologie eine Spielwiese oder sie suchen sich spezialisierten Rechtsbeistand.

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