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Wim Wenders im Interview über Anselm Kiefer: „Vor Pathos haben wir beide keine Angst“

Anselm Kiefer und der Regisseur Wim Wenders („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“) lernten einander 1991 kennen. Dem Film gingen tagelange Gespräche voraus.
Anselm Kiefer und der Regisseur Wim Wenders („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“) lernten einander 1991 kennen. Dem Film gingen tagelange Gespräche voraus.Imago/Christian Behring
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Als Wim Wenders den Künstler Anselm Kiefer und dessen Werk kennenlernte, war er überwältigt. Das Gefühl will er nun in seinem neuen Kinofilm weitergeben, erzählt er der „Presse“. Über ein ungewöhnliches Künstlerporträt in 3D und seine Entstehung.

Die Presse: Mit Ihrem Kiefer-Film „Anselm – Das Rauschen der Zeit“ ist Ihnen eines der besten und ungewöhnlichsten Künstlerporträts gelungen, die ich kenne. Sie versuchen dabei gar nicht erst, gegen das Pathos und die Monumentalität anzukämpfen, die dieses Werk ausmachen. Sie verstärken es sogar, setzen alles in 3-D obendrauf. Woher diese undeutsche Furchtlosigkeit vor der Überwältigung?

Wim Wenders: (lacht) Da haben Sie aber auch eins obendrauf gesetzt. Bin ich jetzt als „Überwältiger“ eingemeindet, wie das alte Klischee von Anselm Kiefer heißt, oder war ich vielleicht selbst nur „überwältigt“? Letzterem würde ich zustimmen. Aber vor Pa­thos haben wir beide in der Tat keine Angst. Wir wurden im selben Jahr in ein Land ­hineingeboren, das es nicht mehr gab, in dem die Erwachsenen sich an den Wiederaufbau unter der Prämisse machten, dass es auch keine Vergangenheit mehr gab. Als Kind weiß man: Das ist eine Lüge! Anselms Pathos habe ich als das eines Menschen empfunden, der um sich herum alles, einfach alles, zurechtrücken musste und wollte …

Sie meinen, das Kiefer’sche Pathos ist die Gegenreaktion zu der allgemeinen Furcht vor Pathos nach 1945 in Deutschland?

Es galt anzuknüpfen an eine durchaus pathetische deutsche Kultur des 19. Jahrhunderts, die von den Nazis übelst missbraucht wurde. Die haben sogar Hölderlin zu einem Nationalisten gemacht. Um das alles wieder freizulegen, wie soll das ohne Pathos gehen? Noch dazu, da Anselm unter Dichtern Alliierte gefunden hatte, die auch vor dem Pathetischen keine Angst hatten.

Früher warf man Kiefer deshalb sogar selbst NS-Nähe vor, diese Passagen kommen in Ihrem Film vor. Aber auch heute sehen viele in seinem Werk noch zu viel Blei, Stroh und Kinderkleidchen, wenn man auch an die riesige Installation im Palazzo Ducale 2022 in Venedig denkt etwa, die am Ende Ihres Films vorkommt. 

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